Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schluß mit cool (German Edition)

Schluß mit cool (German Edition)

Titel: Schluß mit cool (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C Boyle
Vom Netzwerk:
mich zu küssen. »Ich will einfach wieder jung sein, sonst nichts – jung und unbeschwert.«
    Im Zimmer war es kalt geworden, und die Dunkelheit brach herein, als John das nächstemal aufblickte. Mehr als alles andere ließ ihn die Dunkelheit aufmerken: Das Licht reichte nicht mehr zum Lesen. Er erwachte wie aus einem Traum und sah, daß die Fenster im Unwetter fahlweiß geworden waren – es schneite jetzt, kein Zweifel. Die Suppendose, die in einem Rest von erstarrtem Glibber noch den Löffel festhielt, stand auf dem Tischchen neben ihm. Wenn er ausatmete, sah er die Luft als kleine Wolke an seiner Nasenspitze kondensieren. Er setzte sich in Bewegung – das hier war ein Notstand, die Rohre würden einfrieren, und was war mit dem Feuer los, nichts als Glut und Asche – und schürte ungeduldig das Feuer, legte eine Ladung Kleinholz und zwei massige Eichenscheite nach. Es war halb fünf, er hatte rund hundert Seiten in dem Buch gelesen. Der Schnee wütete auf das kalte Herz aus glattem Eis nieder, das darunter lag. Wo war nur Barb? Steckte sie in einer Schneewehe fest? War sie in einem dunkel gewordenen Einkaufszentrum gefangen? Tot? Verstümmelt? Lag sie auf dem Operationstisch im Unfallkrankenhaus?
    Die Sorge stieg in ihm auf wie eine Art Treibstoff, saubere Verbrennung und hohe Oktanzahl, und er hob sogar den Telefonhörer ans Ohr, ehe ihm klar wurde, daß das Ding nicht funktionierte. Er bekam keinen Wählton, es gab überhaupt kein Geräusch von sich, nur die absolute Leere des Nichts. Er trat wieder ans Fenster. Der Himmel war jetzt schwarz, plagte sich mit den abertausend Flecken und Fetzen, die er auf die Erde warf. John konnte kaum das Ende der Einfahrt erkennen, und die unbeleuchteten Häuser gegenüber waren nicht mehr zu sehen. In diesem Moment dachte er an das Auto – sein Auto, den zwanghaft restaurierten MG Roadster mit der Fünfzehnhundert-Dollar-Lackierung in britischem Racing-Grün –, aber er konnte es nicht riskieren, nicht bei so rutschigen Straßen. Im Winter fuhr er ihn kaum – höchstens mal, um ihn in Schwung zu halten –, und in einer Nacht wie dieser würde er damit auch nicht weit kommen, selbst in einem Notfall. Und einen Notfall konnte er Barbs Abwesenheit auch gar nicht nennen, noch nicht. Draußen tobte ein Schneesturm. Der Strom war ausgefallen. Sie konnte nicht zu ihm und er nicht zu ihr gelangen. Er konnte nicht bei der Polizei anrufen, auch nicht bei ihrer Schwester oder im Restaurant des Einkaufszentrums oder in diesem Laden, »Dingskrams & Krimsbums«, der so häufig auf seiner monatlichen Kreditkartenrechnung auftauchte. Er war machtlos. Und so wie die Pioniere vor ihm würde er einfach nur die Luken – also Türen und Fenster – dichtmachen müssen und auf das Ende des Sturms warten.
    Und wo ließ sich das besser tun, als ausgestreckt auf dem Sofa vor dem Kamin, mit einer Sturmlampe und einem Buch? Er stocherte im Feuer herum, breitete sich eine Decke über die Beine und streckte sich gemütlich zum Weiterlesen aus.
    »Sonia«, rief ich entnervt, »du benimmst dich wie ein kleines Kind!«
    Sie tanzte über den Hauptplatz, getragen von ihren schlanken, jugendlichen Beinen, lachte den verblüfften Ladenbesitzern lauthals ins Gesicht und machte dabei unartige Furzgeräusche mit der Zunge und der vorgewölbten Unterlippe. Selbst Don Pedro C–, das hinablebende Oberhaupt unserer schönen Stadt, der gerade mit seiner aufwärtslebenden zwanzigjährigen Braut einen Spaziergang unternahm, war Zeuge dieser kleinen Szene. »Aber ich bin ja ein Kind!« kreischte Sonia und ließ diesem Ausruf ein piepsiges freches Schulmädchenlachen folgen, das die Wände hinaufstieg und jedes Goldfischglas und jeden Blumentopf in den Häusern am Platz erbeben ließ. »Und du bist ein alter Knauser!« Und dann rannte sie wieder davon und trällerte es durch die Seitengassen bis hinauf zu dem Haus, in dem meine Mutter zweimal ein Baby gewesen war: »Don Fausto ist ein Knauser, Don Fausto ist ein Knauser!«
    Eigentlich war es meine Schuld – zum Teil jedenfalls –, weil ich ihr beim Juwelier einen glitzernden Talmischmuck verweigert hatte, dennoch könnt ihr euch meine Verlegenheit, ja meine Scham wohl vorstellen. Ich biß mir auf die Lippe und verfluchte mich. Ich hätte es besser wissen sollen, anstatt eine hinablebende Frau zu heiraten, wenn ich selbst noch älter wurde. Aber geistige Reife hat mich immer angezogen, und als ich ein heranwachsender junger Mann von Dreißig war, da fand ich ihre

Weitere Kostenlose Bücher