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Schluß mit cool (German Edition)

Schluß mit cool (German Edition)

Titel: Schluß mit cool (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C Boyle
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unvermeidliche Tag, an dem sie keine Frau mehr war. Ihre Brüste waren völlig verschwunden, nicht einmal die kleinste Knospe war übrig, und zwischen den Beinen war sie glatt wie ein Apfel. Natürlich hatte ich immer gewußt, daß es irgendwann geschehen würde, und ich hatte versucht, mich darauf vorzubereiten, wie so viele vor mir das getan hatten, ich sah mir Seifenopern an und las die großen Epen, doch der Schmerz und die Ernüchterung waren schlimmer, als ich ertragen konnte – ja, Ernüchterung. Da war die Frau, die ich liebte, die Frau, die tagelang über die Bücher von Mangual und Garci-Crespo reden, sich zum sinnlichen Surren des zweiten Cellokonzerts von Rodríguez nächtelang der Liebe hingeben und beim Anblick des Sonnenaufgangs vor Freude aufschreien konnte, als hätte sie ihn selbst erschaffen. Und jetzt, jetzt saß sie im Schneidersitz mitten auf dem Bett und rief nach mir, mit einer piepsigen Kinderstimme, die mein Blut zum Kochen brachte. Und wie rief sie mich? Fausto oder gar Faustino? Nein, sie nannte mich Daddy. Daddy, Daddy , rief sie, lies mir was vor!
    Bucks Frage traf den Punkt: Wo war eigentlich Barb? Allerdings hatte Buck kaum besorgt geklungen – eher schon verärgert, so als hätte er erwartet, daß seine Mutter aus dem Nichts erscheinen würde, um ihm seine Socken zu waschen oder einen Zitronenkuchen zu backen. John hatte es sich wieder auf dem Sofa gemütlich gemacht, das Buch mit beiden Händen gepackt, als wäre es ein lebendes Tier, und starrte hinauf in die schimmernde Kugel, die das Gesicht seines Sohnes bildete. »Ich weiß es nicht«, sagte er und zuckte etwas theatralischer als nötig die Achseln, »sie ist einkaufen gegangen.«
    Bucks Gesicht schwebte reglos vor der Mündung des dunklen Korridors, als wäre es ihm von den Schultern gekappt worden. »Einkaufen?« wiederholte er, furchte die Stirn und legte einen nörgeligen Unterton in seine Stimme. »Wann? Seit wann ist sie weg?«
    Jetzt empfand John Schuldgefühle – er war hier der Angeklagte, er stand im Zeugenstand, und der Staatsanwalt ging auf ihn los –, und auf einmal hatte er auch Angst, hatte Angst um seine Frau und seinen Sohn und die ganze welkende Maskerade der eigenen Existenz als zweitklassiger Techniker; die Zahlen, die er programmierte, waren unerfreulich und anklagend geworden, in letzter Zeit wechselte er ständig den Arbeitgeber, ein nerviger Betrieb nach dem anderen. »Ich weiß nicht genau«, sagte er. »Sie ist irgendwann am Nachmittag – nein, am Vormittag losgefahren. Am späten Vormittag.«
    »Am Vormittag? Meine Güte, Dad, hast du den Verstand verloren? Da draußen bläst ein Blizzard – Mom könnte längst erfroren sein.«
    John war aufgestanden, auf dem Gesicht seines Sohnes loderte der Zorn im Licht der Rot- und Orangetöne des Feuers, und er reihte Entschuldigungen und Abbitten aneinander, alles schön rational und präzise, bis ihm klar wurde, daß Buck gar nicht mehr da war – er hatte den Korridor in Richtung seines eisigkalten Zimmers durchmessen, dessen Tür er gerade mit einem abschließenden Knall zuwarf. In diesem Augenblick kämpfte John mit sich, alles trat an die Oberfläche – seine Ängste, seine Bedürfnisse, seine Liebe zu Barb, oder sein Respekt vor ihr, egal, wie man es nun nennen wollte –, und er warf sich auch tatsächlich in Mantel, Schal und Mütze und nahm aus dem kleinen Jadedöschen auf dem Kaminsims die Schlüssel des MG , bis er sich besann. Es war ein völlig nutzloses Unterfangen. Eine sichere Katastrophe. Wie wollte er bei diesem Wetter vorankommen – draußen mußte der Schnee bald achtzig Zentimeter hoch liegen, und der Wind wehte ihn zu gewaltigen Wächten auf –, noch dazu in einem Wagen, der nur für sommerliche Straßen ausgerüstet war? Es war verrückt. Unverantwortlich. Außerdem konnte sie sonstwo sein – was sollte er tun, von Haus zu Haus und von Geschäft zu Geschäft fahren?
    Schließlich, und es war inzwischen nach neun, beschloß er, daß es am vernünftigsten wäre, das Ende des Unwetters abzuwarten. Er hatte schon mehrere Blizzards erlebt – schließlich war er fünfzig Jahre alt –, und es war nie etwas passiert, bis auf einen verbeulten Kotflügel hie und da vielleicht, einen gezerrten Rückenmuskel vom Schneeschaufeln oder daß ihnen mal Brot und Milch ausgegangen waren, solche Sachen. Aber jeder Schneesturm hatte sich noch immer irgendwann ausgestürmt, die Sonne war aufgegangen, und der Schnee war von den Straßen weggetaut.

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