Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schluß mit cool (German Edition)

Schluß mit cool (German Edition)

Titel: Schluß mit cool (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C Boyle
Vom Netzwerk:
davonstoben und die Sonne ihm die Haut vom Gesicht herunterflämmte?
    Vielleicht starb er, möglich war das ja. Der Gedanke beunruhigte ihn nicht, nicht sehr jedenfalls, noch nicht, aber er war da, setzte sich als harter kleiner Kloß der Möglichkeit in seinem Hirn fest. Er bewegte die Finger der rechten Hand, einen nach dem anderen, nur um zu sehen, ob die Signale noch ankamen, und dann probierte er die andere, die linke Seite, und nach langer Zeit wurde ihm klar, daß da nichts war, jedenfalls nichts, was er fühlen konnte. Etwas raunte in sein Ohr – ein einziges Wort: Schlaganfall –, und in diesem Moment packte ihn wirklich die Angst. Auf der Straße vor dem Haus hörte er ein Auto vorbeifahren, das Summen der Reifen, das Geratter des Chassis, das leise Saugen der Einspritzdüsen des Motors. »Hilfe!« schrie er. »Jemand soll mir helfen!«
    Und dann blickte er hinauf in die Klöppelarbeit des Pfefferbaums und erinnerte sich an ein Erlebnis im Greyhoundbus vor fünfundvierzig Jahren, an irgendeiner anonymen Haltestelle zwischen Kansas und Nebraska, er auf seiner ersten Fahrt nach Kalifornien, in Erwartung aller guten Dinge des Lebens. Ein verwirrter alter Mann war eingestiegen, knochig und mit einem langen schmalen Stab von Hals und einem sich auflösenden Strohhut, den er weit nach hinten aus dem Gesicht geschoben trug, und er blieb einfach in der Mitte des Ganges stehen, als wüßte er nicht mehr genau, wo er sich befand. Walter war neunundzwanzig gewesen, hatte die Armee und das College hinter sich, aber mit alten Menschen oder irgendwelchen Toten hatte er noch nicht allzuviel zu tun gehabt – nicht seit dem Krieg jedenfalls. Er stemmte jeden Morgen zwei Stunden lang Gewichte, egal, was für Wetter herrschte, heiß oder kalt, krank oder gesund, und das Eisen verlieh ihm Kraft wie ein Zaubertrank.
    Er sah zu dem alten Mann auf, und der alte Mann starrte mitten durch ihn hindurch. In diesem Moment legte der Busfahrer, der von alledem nichts bemerkte, einen Gang ein, und der alte Mann brach in seinem abgetragenen, glänzenden Anzug zusammen, als hätte man einer Marionette die Schnüre abgeschnitten. Keiner schien zu wissen, was man tun mußte, weder die Mutter mit dem greinenden Baby noch das Teenagermädchen mit seinen übergroßen Schuhen, noch die zwei plumpen alten Wachteln, die ihr wie in Butter geschwenktes Grinsen maskenhaft vor sich hertrugen, nur Walt erhob sich automatisch aus seinem Sitz und zog den alten Herrn wieder auf die Beine, dabei kam es ihm vor, als wäre der Bursche überhaupt nicht vorhanden, als wäre er nichts weiter als ein ausgestopfter Anzug – er hätte zehn solcher alten Männer aufstellen können, oder auch hundert, denn er war das Produkt von Eisen, dieses Eisen floß durch seine Adern und stärkte seine Muskeln, bis es nichts mehr gab, was er nicht konnte.
    Im Laufe von Riddle Street goß sich Eunice zweimal nach, bei der nächsten Sendung fielen ihr die Augen zu. Nicht daß sie schlief – schlafen konnte sie nicht mehr, Schlaf war ein Traum, eine Phantasie, die undeutliche Erinnerung an eine unbeschwerte Vergangenheit –, es war eher ein Zustand, der irgendwo zwischen Bewußtsein und dessen Gegenteil oszillierte. Der Klang einer Stimme, einer fremden Stimme, die unmittelbar zu ihr sprach, holte sie wieder heraus – Es war erstaunlich, als würde sie mich und mein ganzes Leben kennen, und sie prophezeite mir, daß ich demnächst zu Geld käme, und so war es dann auch: schon am nächsten Tag traf ich den Mann meiner Träume –, und als erstes fiel ihr auf, daß der Sessel ihres Mannes leer war. Wo trieb der sich nur wieder herum? Vielleicht hatte er sich ein bißchen hingelegt, das war ja möglich. Oder vielleicht war er in der Küche, seine großen Arme, die ständig zu bluten schienen, im Kampf mit den Flügeln der Zeitung, einen Bleistift in den Fingern, sein Drink wie flüssiges Gold im Licht vor dem Fenster, und das Kreuzworträtsel mit seiner schwarz glänzenden Schrift bekrakelt. Das war Hautkrebs da an seinen Armen, das wußte sie, winzige Pünktchen von frischem, feuchtem Blut, die seine Haut dort tüpfelten, wo früher die Muskeln gewesen waren, aber er weigerte sich, etwas dagegen zu tun. Es war ihm egal. Genau wie sein Leistenbruch. »Ich bin sowieso bald tot«, sagte er, und das traf sie zutiefst, wirklich, daß er so redete. »Wie kannst du so reden?« sagte sie oft, und dann kam von ihm sofort die Retourkutsche: »Warum denn nicht? Wofür soll ich noch

Weitere Kostenlose Bücher