Schluß mit cool (German Edition)
weiterleben?« Darauf blinzelte sie ihn an, versuchte verzweifelt, ihre Augen scharf einzustellen, denn wenn sie ihn nicht scharf sah, konnte sie ihm nicht diesen schmollenden, abschätzigen Blick zuwerfen wie Marlene Dietrich in Der große Bluff . »Für mich, Liebster«, sagte sie dann. »Für mich.«
Der Gedanke an die Küche ließ sie hinübergehen, ein wenig wacklig war sie auf den Beinen nach dem langen Sitzen, und ihre Waden waren auch keine Hilfe, die schon gar nicht – sie fühlten sich an, als hätte ihr jemand heimlich Gummireifen darübergeschnallt, während sie vor dem Fernseher eingenickt war. Die Küche schimmerte, durch die hinteren Fenster strahlte die Sonne herein und verlieh dem heillosen Durcheinander der letzten halbverzehrten Mahlzeiten eine solche Reinheit und Schönheit, daß es ihr den Atem raubte: das Karamelbraun der Flasche mit Ahornsirup, das Blau des Fensterputzmittels und das Rot des Ketchups, alle so kräftig und natürlich wie Blumen auf der Wiese. Es war eine hübsche Küche, die hübscheste Küche der Welt. Jedenfalls war sie das einmal gewesen. Sie hatten sie 66 renoviert – oder war das 69 gewesen? Doppelspüle aus Aluminium, selbstreinigender Backofen, die Schränke aus solider Eiche, kein billiges Laminat, bloß nicht. Sie hatte diese Küche geliebt. Es war eine Küche, die ihr das Gefühl gab, daß ihre Liebe erwidert wurde, ein Ort, an den sie sich nach den persönlichen Kränkungen und dem Klatsch in der Bücherei zurückziehen und darauf warten konnte, daß ihr Mann vom Football- oder Basketballtraining nach Hause kam, das wechselte ja von Jahreszeit zu Jahreszeit.
Sie hatte den Gedanken – oder eigentlich war es kein Gedanke, eher ein Gefühl, denn geleitet wurde sie mittlerweile von Gefühlen, nicht von Gedanken –, daß sie vielleicht eine Dose Tomatensuppe zum Mittagessen aufwärmen sollte, und wäre es nicht nett, wenn sie ausnahmsweise auch einen Teller für Walt machte? Obwohl sie seine Reaktion bereits im Ohr hatte. »Das Zeug kann ich nicht essen«, würde er sagen. »Doch nicht mit meinem Magen. Glaubst du, ich wär noch achtunddreißig?«
Ja, allerdings, das glaubte sie, um ehrlich zu sein. Und als er achtunddreißig war und sie Stan Sadowsky weggenommen hatte, ihm noch zwei blaue Augen verpaßt hatte, als der deswegen kurz pampig geworden war, da hatte er einfach alles gegessen, was er von ihr auf den Tisch gestellt kriegte: Krabbencocktail in Meerrettichsauce direkt aus dem Glas, eingelegte Peperoni, ihre Spezial-Hackfleischtaschen auf Tex-Mex-Art mit heißem Käse und Tabascosauce darüber. Er liebte sie damals auch. Liebte sie, wie sie noch nie zuvor geliebt worden war. Seine Finger – seine Finger waren einfach Zauberfinger, die Finger eines Masseurs, eines Mannes, der wußte, was Tiefenwirkung bedeutete, der alle Muskeln und Bänder und Feinheiten des erektilen Gewebes kannte und der sie dermaßen manipulieren konnte, bis sie entspannt wie eine Stoffpuppe war und es ihr am ganzen Körper kribbelte.
Sicher, sicher konnte er das. Aber wo, um Himmels willen, war er nur?
Die Sonne war gewandert. Kein Zweifel. Er hatte geschlafen, war bewußtlos, im Delirium, dehydriert, vom Sonnenstich getroffen – er konnte sich’s aussuchen –, und jetzt war er wieder wach und starrte zu dem gelben Fleck am Himmel empor, der sich in Dunkelblau und dann in Schwarz verwandelte, wenn man zu lange starrte. Er brauchte Wasser. Er brauchte Bourbon. Aspirin. Ibuprofen. Zwei von diesen kleinen weißen Codeintabletten, die ihm der Arzt gegen die Schmerzen in den Knien verschrieb. Mehr als alles andere aber mußte er von diesem verfluchten Rasen hochkommen, bevor ihm das Gras durch den Hinterkopf wuchs. Plötzlich zornig, wütend und tobend, gab er alles, was er hatte: es gelang ihm, die rechte Schulter und die nutzlose Last seines Kopfes vom Boden zu heben – und dort oben zu halten, volle fünf Sekunden lang zu halten, so als wäre er beim Bankdrücken gegen den eigenen Körper –, ehe er wieder zurücksackte. Es würde nicht funktionieren, das sah er jetzt ein, nichts würde mehr funktionieren, nie wieder, und er fühlte, wie die Verzweiflung in ihm hochstieg, als langsames, schwarzes Rinnsal in den schwarzen See davontropfte, der in seinem Inneren schwappte.
Mit der Verzweiflung kam Jimmy. So war es jedesmal. Wenn er deprimiert war, wenn er fand, sein Leben sei nichts als Krankheit und die Mühe nicht wert, noch den nächsten Atemzug kontaminierter Luft zu
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