Schluß mit cool (German Edition)
Es wurde Abend. Die Dämmerung brach herein. Sie sah sich gerade auf dem Filmklassikersender einen Streifen mit Mickey Rooney und Judy Garland an, in dem plötzlich ein Hund bellte, und sie dachte eine Sekunde lang, es sei Booters. Jetzt erst bemerkte sie, daß Booters weg war. Und Walt: was trieb der bloß wieder so lange?
Sie stieg die Treppe hinauf, obwohl jede Stufe, sobald sie den Fuß hob, heimtückischerweise höher zu werden schien, um nach ihr zu schnappen, und mußte feststellen, daß das Schlafzimmer leer war und daß auch im Bad weder Hund noch Mann dem monotonen Getröpfel des Wasserhahns lauschte, der sich irgendwie nie richtig zudrehen ließ. Sie durchsuchte das Haus noch zweimal, völlig verdattert jetzt, sah sogar in der Speisekammer, im Besenschrank und unter der Spüle nach. Es war fast dunkel, die Eiswürfel des frisch eingeschenkten Wodka mit Soda klingelten in ihrer Hand wie Glöckchen, als ihr einfiel, draußen nachzusehen.
Sie steckte den Kopf zur Tür hinaus und rief: »Walt? Booters?«
Ein schwaches, klägliches Echo der eigenen Stimme scholl zu ihr zurück, und dann mischte sich darunter ein kaum hörbarer Flüsterton, nicht lauter als das Flügelschwirren einer Mücke oder der gedämpfte Schrei eines im Dunkeln erdrosselten Vogels. »Hilfe!« hörte oder glaubte sie zu hören, ein so schwaches und gepreßtes Geräusch, daß ihr Ohr es fast gar nicht registrierte.
»Walt?« versuchte sie es noch einmal.
Und dann: »Eunice, verdammt noch mal, hier drüben!«
Sie erschrak so sehr, daß sie ihren Drink fallen ließ, das Glas explodierte auf den Steinplatten zu ihren Füßen und badete ihre Knöchel in Wodka. Das Licht schwand immer mehr, sie sah ohnehin nicht mehr allzugut, jedenfalls nicht ohne Brille, und sie war verwundert, die Stimme ihres Mannes aus dem Nichts zu vernehmen. »Walt?« murmelte sie und ging langsam über den dunklen Rasen wie durch ein Minenfeld, und als sie stolperte, als sie fiel, da war es kein Rasensprenger, kein Erdhörnchenloch und keine Senke des Bodens, sondern sie fiel über die lange, magere dunkle Gestalt ihres reglosen Ehemanns.
Eunice schrie auf, als sie zu Boden ging, ein scharfes, anschwellendes Kreischen der Überraschung, begleitet von einem ergebenen Ächzen und dem fast unvermeidlichen Nachgeben irgendeines unentbehrlichen Knochens oder Gelenks. Er hatte dieses Knacken schon oft gehört, öfter als er zählen könnte, im Footballstadion, auf dem Baseballplatz, in der Basketballhalle, und er wußte sofort, daß es Schwierigkeiten bedeutete. Oder vielmehr weitere Schwierigkeiten, falls das noch möglich war. »Eunice?« krächzte er, und sein Gesicht war bis auf die Knochen gebrutzelt, »bist du verletzt?«
Sie lag bei ihm, dicht neben ihm, eins ihrer Beine war ungelenk über seins geworfen, ihr Gesicht praktisch in den Rasen gerammt. Sie versuchte, sich zu bewegen, sich umzudrehen, sich aufzurichten – das alles spürte er deutlich, obwohl er selbst unter Aufbietung aller Kräfte nicht den Kopf zu ihr umwenden konnte –, aber sie hatte nicht viel Erfolg damit. Als es ihr nach langwierigem Gerangel doch endlich gelang, ihr gesundes Bein über sein abgestorbenes zu ziehen, mußte sie fast eine geschlagene Stunde lang nach Luft schnappen, ehe Lippen, Zunge und Mund eine Antwort formen konnten. »Walt«, keuchte sie, oder eigentlich stöhnte sie es, das war es, ein Stöhnen, »mein... ich glaube... au, au, es tut so weh...«
Er hörte einen Wagen auf der Straße vorbeirasen, das Leben ging so rasch weiter, immer galt es, Termine einzuhalten, Leute zu treffen. Irgendwo rief eine Stimme, und eine Tür knallte zu.
»Meine Hüfte, ich glaube, es ist meine Hüfte...«
Er mußte sich sehr zusammennehmen, um nicht zu fluchen, aber er besaß gar keine Kraft mehr zum Fluchen, außerdem hatte es keinen Sinn, jetzt nicht. Er biß die Zähne zusammen. »Hör zu, ich kann mich nicht bewegen«, sagte er. »Ich liege hier jetzt den ganzen Tag und warte darauf, daß mich wer bemerkt, aber meinst du, es steckt mal jemand den verdammten Kopf zur Tür raus, um nachzusehen, ob der liebe Gatte vielleicht längst tot ist und in der Sonne brutzelt wie eine Scheibe Speck, zum Donnerwetter?«
Sie antwortete nicht. Das Dunkel ringsherum wurde dichter. Der Rasen ging von Grau zu Schwarz über, die Baumwipfel verloren alle Farbe, und der Himmel vergrößerte sich mit jeder Minute, als würde er von unsichtbaren Mächten mit dem Stoff angefüllt, aus dem das Universum
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