Schluß mit cool (German Edition)
inhalieren, dann dachte er immer an Jimmy. Sieben Jahre, sechs Monate und vierzehn Tage alt, schmächtige Beinchen, der Kopf zu groß für seinen Körper, und Haare wie etwas, mit dem man Kochtöpfe scheuerte. Jimmy. Sein Sohn. Der Junge, der schon beim Zahnen in einen Baseballhandschuh gebissen hatte und bald der schnellste Läufer in der zweiten Klasse war. Walt hatte Turnstunde gehabt an dem Tag, als er gestorben war, hatte der Gymnastikgruppe Hilfestellung am Barren geleistet. Jemand stürmte herein und rief, draußen auf der Straße sei überall Rauch – beim Farbengeschäft brenne es, und der gesamte Häuserblock könne in Flammen aufgehen, vielleicht sogar die Bank –, und in der hallenden Kathedrale des Turnsaals wurde es still. Dann rochen sie den Rauch, schal und scharf zugleich, und bald hörten sie auch die Sirenen. Als Walt auf die Straße trat, vor ihm seine Turner in einem wilden Gewirr aus fliegenden Beinen, stand der Löschwagen der Feuerwehr seltsam quer auf dem Gehsteig, mindestens noch drei Blocks vom Brand entfernt, und er erinnerte sich, daß er dachte, der Fahrer müsse wohl betrunken oder blind sein. Als er dort ankam, wo der Löschwagen stand, dahinten nahm der Qualm den ganzen Himmel ein, und der Geschmack danach lag brennend und bitter auf seiner Zunge, fragte er den nächsten der Herumstehenden – Ed Bakey, den Vizerektor –, was denn los sei. »Eines der Kinder«, sagte Ed, und dabei zitterte er so heftig, daß er kaum die Worte hervorbrachte, »eines der Kinder ist von der Feuerwehr überfahren worden.«
Gnädigerweise dämmerte er wieder weg, und als er das nächstemal zu sich kam, spielte die Sonne mit dem Wipfel des Pfefferbaums Verstecken, dessen Schatten – heilsamer, erlösender Schatten – sich schon fast zu seinen Füßen ausbreitete. Wie spät war es überhaupt? Drei Uhr, mindestens. Eher bald vier. Und wo zur Hölle war Eunice? Drinnen im Haus war sie, wo Zeit keine Bedeutung besaß, nur eine Reihe von Dreißig-Minuten-Schnipseln aus der Programmzeitschrift war – Tag ging in Nacht über, Frühstück ins Abendessen, und die grellen Elektronen tanzten immerfort über den Schirm. Da stemmte er die Ellenbogen in den Rasen, alle beide, und ja, auf einmal spürte er seine linke Seite wieder, das war doch was, und er spannte jeden Muskel im Körper fest an – Pectoralis, Deltoideus, Bizeps, die lange gestreifte Rückenmuskulatur und der taube Klumpen, der sein linkes Bein war –, aber er konnte sich nicht aufsetzen, nicht einmal zwei Zentimeter brachte er zwischen sich und das plattgedrückte Gras. Das frustrierte ihn. Verärgerte ihn. Und so rief er nochmals, ein ausgetrocknetes, mattes Blöken der Wut und Verwirrung entrang sich der Wüstenkehle eines Mannes, der noch nie irgendwen um irgend etwas gebeten hatte.
Sie rief ihn zum Mittagessen, ging an den Fuß der Treppe und brüllte zweimal seinen Namen, aber es war nahezu unmöglich, ihn aufzuwecken, wenn er erst einmal weggetreten war, der tiefste Schlaf der Welt – nur eine Marschkapelle schaffte es, daß er auch nur mit den Augen blinzelte –, also wärmte sie die Tomatensuppe auf, räumte sich einen Platz am Tisch frei und aß sie allein. Die Suppe war gut, genau richtig, nur taten sie immer zuviel Salz hinein, das taten sie alle, egal, welche Marke man kaufte. Es machte sie durstig, dieses viele Salz, und sie stand auf, um sich einen neuen Wodka mit Soda zu mixen – es hatte wenig Sinn, auf der Suche nach dem eben benutzten Glas das Haus zu durchstöbern, denn es konnte nach ihrer Erfahrung sonstwo stehen. Unmöglich zu zählen, wie viele Stunden sie schon auf Füßen, die sich anfühlten wie in einen Schraubstock gezwängt, durch Badezimmer, Küche und Wohnzimmer geschlurft war, auf der Suche nach dem einen oder anderen vom geschmolzenen Eis verwässerten Drink. Also nahm sie ein frisches Glas, schenkte sich ein und trank. Walt war oben im Schlafzimmer, das war’s, legte ein Nickerchen ein, eine andere Möglichkeit kam ihr nicht in den Sinn, denn es gab ja keine.
Es folgte die übliche Ebbe und Flut des Nachmittagsprogramms, fette dämliche Menschen, die auf einer Bühne aufgereiht saßen und über ihr fettes dämliches Leben nörgelten und dabei zu dämlich waren, um zu merken, daß das ganze Land über sie lachte, die Gameshows und die Tanzshows für Teenager und die mexikanischen Shows, wo die Leute genauso fett und dämlich waren wie die Amerikaner, nur daß sie auf spanisch nörgelten statt auf englisch.
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