Schluss mit dem ewigen Aufschieben
und Werten kompatibel sind. Aus dem Umfeld der verschiedenen
Forschungsgruppen von Julius Kuhl sind viele Untersuchungen hervorgegangen, die zeigen, welchen Einfluss diese gefühlsmodifizierenden
Strategien dann haben, wenn wir selbstkongruente Ziele verfolgen, und was passiert, wenn unser Selbstsystem infiltriert ist
und wir Absichten verfolgen, die letztlich nicht mit uns übereinstimmen, also keine positiven emotionalen Bewertungen auslösen.
Außerdem haben diese Forschungen gezeigt, wie unterschiedlich Menschen mit Misserfolgen umgehen: Bei manchen bricht die Handlungssteuerung
zusammen, sie fokussieren sich auf die entstandene Lage und hegen auf die Zukunft bezogene Befürchtungen. Andere schaffen
es, durch Gefühlsregulierung – insbesondere dadurch, dass sie negative Emotionen herunterregulieren und positive Gefühle erzeugen
– ihre Handlungsorientierung aufrechtzuerhalten oder schnell wiederzugewinnen. Die Lageorientierten, wie sie genannt werden,
geraten schnell unter Stress, und man weiß, dass Stress ungünstig für das Lernen und das Behalten ist. Negative Emotionen
reduzieren die Aktivität in den Hippocampi, den Seepferdchen, höchst aktiven anatomischen Strukturen, die im Gehirn entscheidend
am Lernen und der Einspeicherung von Lernergebnissen beteiligt sind. Chronischer Stress kann sogar bewirken, dass in ihnen
neuronales Gewebe abstirbt.
Menschen unterscheiden sich nicht nur hinsichtlich ihrer neurobiologischen Funktionen, sondern auch hinsichtlich ihrer selbstregulatorischen
Fähigkeiten. Offenbar sind Lernerfahrungen dafür entscheidend, womit sich die Entwicklungspsychologie von Persönlichkeit und
Motivation beschäftigt. Je nach Lernerfahrungen gibt es ungestörte Entwicklungen hin zu positiven Selbststeuerungsfertigkeiten
und dem Talent, sich nur solchen Zielen zuzuwenden, die selbstkongruent sind; durch Selbstmotivierung und Selbstberuhigung
bleibt man handlungsorientiert und erledigt somit auch fremdbestimmte |130| Vorgaben, die Unlust erzeugen, relativ zügig. Andere hingegen haben durch ihre Sozialisation Defizite oder Konflikte. Die
Psychoanalyse hat unseren Blick auf die Entwicklung problematischer Strukturen und schwieriger Dynamiken gelenkt.
Aufschieben als Merkmal der Persönlichkeit
In dieser liebenswürdigsten aller Sichtweisen ist die Tendenz zum Aufschieben etwas Angeborenes, ein unveränderbarer Zug unserer
Persönlichkeit. Wenn das so wäre, dann stünde das Aufschieben weitgehend außerhalb der eigenen Kontrolle. Als angeborene Verhaltenstendenz
hätte sie sich allerdings im Laufe unserer langen stammesgeschichtlichen Entwicklung zum modernen Menschen nicht erhalten
können, wenn sie nicht eine positive Anpassungsfunktion gehabt hätte. Apologeten des Aufschiebens suchen daher nach dem evolutionären
Vorteil und vertreten die Auffassung, es stehe mit Kreativität und Genie in Verbindung. Damit sind Sie als jemand, der aufschiebt,
geadelt. Dieser Meinung steht die Tatsache gegenüber, dass alle ernsthaften Berichte über sehr kreative Menschen deren gute
Selbstorganisationsfähigkeiten, Fleiß und Ausdauer hervorheben. Einstein wird die Äußerung zugeschrieben, Genie sei 10 Prozent
Inspiration und 90 Prozent Transpiration. Zudem ist schwer erkennbar, in welcher Weise die Höhlenbewohner, die den nächsten
Jagdzug herausschoben, davon einen Selektionsvorteil hatten. Außerdem ist die Idee, dass Menschen bei aller Unterschiedlichkeit
wegen
eines
gemeinsamen genetischen Merkmals aufschieben, ziemlich abwegig.
Eine einfache psychoanalytische Darstellung grundlegender Persönlichkeitsmerkmale macht deutlich, dass Ihr Charakter Sie in
unterschiedlicher Weise zum Aufschieben disponieren kann. Ihr Charakter ist Ihr relativ unveränderbares System von Denk,-
Fühl- und Handlungsstrategien (Modi), mit denen Sie Ihr Leben bewältigen. Wenn Sie zum depressiven Modus neigen, dann sind
Sie durch eine gedrückte Stimmungslage sowie eine Hemmung Ihres Temperaments und Ihrer zupackenden Motorik gekennzeichnet,
die sich mit Interesselosigkeit und einer abgesenkten Leistungs- und Konzentrationsfähigkeit verbinden. Ihre Antriebsarmut
wird Ihnen das Aufschieben |131| nahe legen, Ihre Mattigkeit wird Ihnen signalisieren, dass nichts läuft. Sie fühlen sich hilfs- und anlehnungsbedürftig und
sind in Gefahr, sich von Menschen und Aufgaben, mit denen fertig zu werden wichtig wäre, gänzlich zurückzuziehen.
Wenn Sie der Welt mit
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