Schluss mit dem ewigen Aufschieben
Entspannungsverfahren gut helfen.
Tipp: Stellen Sie sich im entspannten Zustand immer wieder vor, wie Sie aufschieben, bis alles zu spät ist, wie die negativen Folgen
eintreten, die Sie bis jetzt so sehr fürchten. Gehen Sie entspannt durch, wie Sie sich dann fühlen werden und welche Handlungsmöglichkeiten
Ihnen bleiben. Auf der kognitiven Seite können Sie versuchen, den bisher lähmenden Horrorfantasien durch eine genaue Debatte
Ihrer Gedanken auf die Spur zu kommen.
Anja ist klar geworden, dass ihre vielbeschworenen, alternativen Lebenspläne sich nicht mehr stellen beziehungsweise doch
nicht so erwünscht sind: Für eine Modelkarriere, findet Anja, sei es zu spät und ein Studium sei auch nicht das Richtige.
Sie hätte schon gerne |218| eine Boutique, aber irgendwie sei das auch anrüchig, meint sie: Gelangweilte Gattin wird mit Heilpraktikerinpraxis oder Lädchen
ruhiggestellt. Sie kann sich dafür noch nicht entscheiden. Manchmal überlegt sie, ob sie doch den Job in der Apotheke wieder
aufnehmen sollte. Sie wirft sich ihre Unentschlossenheit vor. Das Aufschieben zu akzeptieren, erscheint ihr unmöglich, denn
sie fürchtet sich sehr vor negativen Folgen, wie ihr zweites ABC zeigt:
A Mein Aufschieben
B1 Ich schiebe mein wirkliches Leben auf, und das finde ich schrecklich.
B2 Eines Tages werde ich mit dem Aufschieben böse auf die Nase fallen, dann werde ich es bitter bereuen.
C Gefühl: Ärger auf sich selbst, Angst
C Verhalten: Vermeiden, an das Aufschieben zu denken.
Anjas neues Ziel ist es nun nicht, eine ihrer Visionen zu verwirklichen, sondern zu akzeptieren, dass sie sich nicht festlegt:
E Ziel: Aufschieben ohne Reue, Angst verlieren
Dazu überprüft sie zunächst ihre Kognitionen:
B1 Ich schiebe mein wirkliches Leben auf, und das finde ich schrecklich.
Ist das wahr?
Nein, ich schiebe etwas Bestimmtes auf, aber nichts sagt mir, dass es sich dabei um etwas so Ominöses wie mein »wirkliches
Leben« handelt. Außerdem klingt das geschwollen. Ich tue damit so, als ob mein Leben mit Horst und mit den Kindern so etwas
wie ein falsches Leben sei. Tatsächlich fühle ich mich manchmal ja auch so. Kein Wunder, wenn ich so denke. Möchte ich die
Kinder lieber nicht haben oder wieder zurückgeben? Nein, auch wenn sie eine Menge Arbeit machen und mir eine ganz neue Rolle
auferlegt haben, an die ich mich immer noch nicht gewöhnt habe.
|219| Möchte ich lieber allein leben, ohne Horst, so wie früher? Wenn ich ehrlich bin, nicht. Manchmal fällt es mir schwer, Horst
so zu nehmen, wie er ist – obwohl auch das nicht stimmt. Was mir wirklich schwer fällt zu akzeptieren ist, dass ich einfach
nicht mehr alle Möglichkeiten im Leben habe, dass ich mich in einer bestimmten Weise festgelegt habe und dass ich durch mich
selbst noch festgelegter bin, als ich dachte. Ich habe mir ja lange versucht einzureden, dass ich jederzeit auf und davon
gehen könnte, in ein anderes Leben, aber ich muss mir eingestehen, dass ich weder die Kinder noch Horst so einfach verlassen
könnte. Ich schiebe also nicht mein wirkliches Leben auf, sondern tue manchmal so, als ob ein paar verpasste Lebensmöglichkeiten
das »wirkliche« Leben wären. Richtig verpasst sind die Möglichkeiten vielleicht noch nicht. Ich könnte mich als Model bewerben,
und ich könnte sicher mit Horsts Hilfe eine Boutique eröffnen. Und ich könnte auch eine Mappe zusammenstellen und mich an
der Kunsthochschule bewerben. Das schiebe ich also auf.
Ist es wahr, dass ich das schrecklich finde?
Ich tue oft so, das ist wahr. Aber ehrlich gesagt finde ich es nicht so schrecklich, dass ich mich nicht aktiv als Model bewerbe
oder an der Mappe arbeite. Ich weiß nicht, ob mir so ein freies Studium überhaupt gut tun würde. Entscheidend ist, dass ich
das Gefühl habe, es jederzeit tun zu können, dass diese Möglichkeiten mir noch offen stehen. Es ist ja sogar ein gewisses
Kokettieren dabei. Wenn ich wirklich Model wäre, dann müsste ich in der Weltgeschichte herumfliegen und mich mit der oberflächlichen
Glanz- und Glamoursociety beschäftigen, aus der ich ja damals unbedingt weg wollte. Und in meinem Alter noch einmal studieren,
noch dazu mit den schrillen jungen Leuten aus der Kunstszene? Ich glaube, was ich wirklich schrecklich finde, ist das Älterwerden.
Aber das ist ein anderes Thema, das ich demnächst einmal verfolgen werde. Wirklich? Oder schiebe ich hier schon wieder etwas
auf?
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