Schluss mit dem ewigen Aufschieben
Älterwerden heißt für mich, dass meine Schönheit vergeht, dass ich nicht mehr alles machen kann und mir nicht mehr alle
Türen offenstehen. Beim Schreiben merke ich, dass ich es offenbar hasse und fürchte, mich festgelegt zu fühlen. Ich bin richtig
Mami und Hausfrau, aber es ist, als wäre das etwas Furchtbares und als müsste ich mir ständig einreden, ich könnte ja noch
was ganz anderes werden. Wie meine Mutter, bei der ich das gehasst habe, |220| wenn sie immer wieder davon anfing, wie sie sich für uns geopfert hat. Das mache ich allerdings nicht und will es auch nicht.
Aber ein bisschen damit zu kokettieren gehört offenbar auch zu mir. Also werde ich weiter die Verwirklichung dieser Träume
aufschieben, denn dass ich als Model auch nicht mehr so taufrisch wäre, ist mir schon klar. Und als typische »Gattin«, die
sich sonst langweilt, im Laden zu stehen, den der Mann ihr finanziert, ist auch nicht gerade eine prickelnde Vorstellung.
Ich sollte mit Horst einmal darüber reden, wie er mein Theater eigentlich einschätzt. Manchmal denke ich, er weiß, dass es
eine Art Spiel ist und spielt halt mit, aber an anderen Tagen bin ich mir nicht sicher, ob er nicht doch enttäuscht von mir
ist.
B2 Eines Tages werde ich mit dem Aufschieben böse auf die Nase fallen, dann werde ich es bitter bereuen.
Ist das wahr?
Nein, ich weiß nicht, ob ich eines Tages mit dem Aufschieben Schiffbruch erleiden werde, und noch weniger, ob ich es dann
bitter bereuen werde. Was wäre eigentlich das Schlimmste, was passieren könnte? Horst könnte die Lust an unserem »Spiel« verlieren
und mich verlassen. Ob ich das überstehen würde? Ich neige zum Dramatisieren, das merke ich auch an dieser Frage. Wenn ich
mit Horst spreche, wird er mich besser verstehen und auch sonst wird er mich sicher nicht einfach verlassen. Was schiebe ich
sonst noch auf? Die Eheberatung. Aber da sollte ich Jutta mal reinen Wein einschenken, dass es mir mit meinen Klagen über
Horst doch nicht so ernst ist. Wahrscheinlich weiß sie das ja auch sowieso schon. Und bislang hat sie mir deswegen die Freundschaft
nicht gekündigt.
Und was, wenn?
Wenn mich alle verlassen, dann wäre ich frei, aber ernsthaft glaube ich schon, dass ich vorher genügend Möglichkeiten hätte,
das zu verhindern. Im Grunde ist dieser Gedanke so etwas wie eine innere Fortsetzung eines bösen Fluches: Du wirst schon merken,
es wird noch einmal böse enden mit dir!
Anja hat im Laufe ihrer Debatte auch gleich Hinweise aufgeschrieben, wie sie ihr neues Ziel, das Aufschieben zu akzeptieren,
erreichen kann. Häufig ist es so: Wenn Sie ein Problemverhalten ernsthaft zu akzeptieren versuchen, zeigt sich erst, welche
Funktion es für Sie hat. |221| Und das können dann ruhig auch die anderen Menschen, die in das Problem einbezogen sind, wissen. Anja kann ihre restliche
Angst vor negativen Folgen (Verlust von Liebe und Freundschaft) dadurch reduzieren, dass sie Horst und ihrer Freundin Jutta
erzählt, wie sie die Sache sieht. Auch in deren Augen wird sich dann das Thema Aufschieben relativieren und sie werden weniger
Zeit mit unproduktiven Streitereien verbringen. Je weniger sie auf Anjas Angebote zu Verwicklungen einsteigen, desto mehr
wird Anja gezwungen sein, sich mit ihrer gegenwärtigen Rolle auseinander zu setzen.
Realistische Zielsetzungen
Wenn Sie gar keine Ziele haben, sind Sie ohne Orientierung, denn genau das ist es, was Ziele bieten: Wie Leuchttürme ragen
sie aus dem Alltag auf und geben Ihrem Vorgehen eine Richtung. Ziele können Sie sich selbst suchen, sie können Ihnen aber
auch vorgegeben werden. Selbst bestimmte Ziele sind manchmal schwerer zu finden als solche, die sich aus der Natur der Sache
ergeben oder die Ihnen Ihr Chef aufdrückt. Andererseits haben selbst gewählte Ziele den Vorteil, dass Sie sie nach Ihren eigenen
Standards und Werthaltungen maßschneidern können. Langfristige selbst bestimmte Ziele (beispiels weise eine Karriere anzustreben) können einen Sog entfalten und Ihnen über einen großen Zeitraum hinweg Kraft geben. Allerdings
sind Sie bei dieser Art von Zielen nur sich selbst Rechenschaft schuldig. Manche Menschen empfinden gerade fremd bestimmte
Ziele als verbindlicher, weil sie oft weniger Spielräume für das Aufschieben einräumen.
Tipp: Egal, ob Sie selbst- oder fremdbestimmte Ziele bei Ihrem Projekt verfolgen: Machen Sie sich klar, warum Sie dieses Ziel haben
beziehungsweise welche
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