Schlussakt
ich musste
nur die Augen schließen. Der Pazifik plätscherte vor sich hin, die Sonne
kitzelte meinen Bauch. Keine verschneiten Nadelwälder mehr, keine gefrorenen
Wege, keine stöhnenden Leichen. Leider war es ein Kurzzeitvergnügen. Mein
Unterkiefer schmerzte, da konnte ich die Augen so fest zudrücken, wie ich
wollte. Wenn es wenigstens ein Sonnenbrand gewesen wäre! Der schmerzende Kiefer
holte den Winter zurück, den Berufsalltag, das Duell am Auerhahnenkopf. Er
erinnerte mich daran, dass meine Badewanne nicht ganz die Ausmaße der Südsee
hatte. Wenigstens war das Wasser kuschelig warm, und der Badezusatz roch nach
Wildkräutern. Ein Geschenk von Christine, die mit mir unbedingt nach Korsika
fliegen wollte.
Wie viel Grad es jetzt wohl auf Korsika hatte? Gemütlich war
es dort bestimmt auch nicht. Also zurück unter die Palmen. Gleich würde mir
eine Insulanerin ein Bier servieren.
Da kam sie schon. Oder auch nicht. Die Schritte, die durchs
Treppenhaus hallten, klangen schwer und zögerlich, nach dem Tritt eines müden
Mannes. Jetzt war er oben, öffnete meine Wohnungstür, ließ sie leise ins
Schloss fallen, durchquerte Wohn- und Schlafzimmer, stand einen Moment zögernd
vor der Badezimmertür. Ich legte mich auf die Seite, zog beide Beine an die
Brust und glitt unter Wasser. Von außen war nur noch Schaum zu sehen. Ich
stellte mir vor, wie der Besucher eintrat, wie er die Tür hinter sich schloss,
wie er sich umsah …
Prustend schoss ich in
die Höhe. Schaum spritzte.
Marc Covet stand vor der Wanne und betrachtete mich
skeptisch. Überrascht schien er nicht zu sein.
»Hallo, Marc«, sagte ich. »Hol dir einen Stuhl aus der Küche.
Ich muss noch ein wenig auftauen.«
»Verstehe«, sagte er. Ich hatte ihm am Telefon von Woll
erzählt. Er ging hinaus, kam mit einem Stuhl zurück, über den er seinen Mantel
hängte. Dann setzte er sich schwerfällig.
»Schließt du deine Eingangstür eigentlich nie zu? Nicht mal,
wenn du in der Wanne liegst?«
»Warum sollte ich? Meinst du, die Leute bekämen einen
Schreck?«
Schweigend nahm Covet seine vom Wasserdampf beschlagene Brille
ab.
»He, was ist
los, Marc? Warum freust du dich nicht?«
»Über die dritte Leiche?«
»Allerdings. Woll hat Nagel einen unbezahlbaren Dienst
erwiesen. Bernds Alibi ist bombensicher, sofern sich nicht herausstellt, dass
der Typ vor Montagabend in den Wald gebracht wurde. Und danach sieht es nun
wirklich nicht aus. Nagel hat die längste Zeit in U-Haft gesessen.«
»Gut.«
»Gut, was heißt hier ›gut‹? Darauf sollten wir einen
trinken.«
»Auf einen Mord?«
»Du kanntest Woll nicht. Okay, ich weiß, was du sagen willst.
›De mortuis‹und so weiter. Hat mein Vater auch
immer gepredigt. Aber der war Pfarrer, und ich bin Ermittler. Da darf ich meine
Sympathien verteilen, wie ich will. Ich war in Wolls Wohnung, und was ich dort
gesehen habe, hat alle meine Vorurteile gegen ihn bestätigt. Alle!«
»Du warst in Wolls Wohnung?«
»Wie gesagt, ich ermittle.«
»Und? Was glaubst du? Wer kann ein Interesse haben, drei
Menschen zu töten?«
»Ich habe absolut keine Ahnung.«
Stille. Die Badewanne dampfte. Marc begann seine Brille zu
putzen. Langsam, mechanisch. Seine gottergebene Miene machte mich wütend. Die
würde ich ihm schon austreiben, meinem scheinheiligen Freund.
»Nein«, sagte ich und ließ meine Zehen aus dem Wasser lugen,
»ich habe wirklich keine Ahnung, was hier gespielt wird. Ist ja auch kein
Wunder. Jeder, mit dem ich rede, lügt, verschweigt, laviert, hält hinterm Berg.
Jeder. Aber jeder kommt auch hinterher zu mir und will wissen, wer die Morde zu
verantworten hat. Und warum. Und wie und wann und wo. Dieselben Lügner und
Lavierer wollen, dass ihr Ermittler all das herausfindet. Da braucht man
verdammt viele Entspannungsbäder, um nicht an die Decke zu gehen.«
Marc schwieg.
»Wildkräuter«, sagte ich. »Ich hoffe, dass es entspannt.
Merken tu ich nicht viel.«
»Von Christine?«
»Von Christine. Und jetzt verrat mir mal, was du aus Nagels
Schreibtisch genommen hast.«
Er zuckte die Achseln. »Nichts Besonderes.«
»Wie bitte?«
»Nichts Besonderes. Ein paar Privatsachen.«
Ich hielt Blickkontakt mit meinen Zehen. Nur um Marc nicht
ansehen zu müssen, wie er sich mit seiner blöden Brille beschäftigte. »Letzte
Chance, Marc«, sagte ich leise. »Du erzählst mir jetzt, was du aus den
Schubladen entfernt hast, bevor ich mir das mit unserer
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