Schlussakt
also.
»Was gibt es denn noch?«
»Alles, was auf der Tageskarte steht. Außerdem Kässpätzle,
Toast Hawaii und Thüringer. Vielleicht noch ein Wiener Schnitzel.«
»Dann nehme ich ein Schnitzel.«
»Falls es aus ist: Kässpätzle?«
»Meinetwegen. Bier haben Sie aber?«
»Klar. Bier geht immer.«
Ich bestellte ein Weizen,
weil mir das Pils in der Ölmühle nicht schmeckt. Bier geht immer. Mir
wäre es lieber gewesen, sie hätten kein Pils mehr gehabt, anstatt auf mein
Schnitzel zu verzichten. Aber die Ölmühle ist eine sterbende Kneipe, die
keine Rücksicht auf die Sonderwünsche eines Privatermittlers nehmen kann. Das
Gebäude ist marode, die Sanierung unausweichlich, und weil der Investor, der
das nötige Kleingeld zur Instandsetzung aufbringt, kein Interesse an einer
Kneipe mit billigem Essen und schlechtem Bier hat, wird draußen das verbeulte
Schild › Ölmühle ‹ demnächst durch die Leuchtschrift eines Gourmetpalasts
oder Edelhotels ersetzt. Die gesamte Inneneinrichtung der Kneipe wird auf dem
Müll landen: die dicken, handgewebten Tischdecken mit Brandlöchern von
Zigaretten, wie sie die Generation unser Väter geraucht hat, die Alulöffel, mit
der die Tagessuppe ausgeschenkt wird, und natürlich auch der schwere Ventilator
an der Decke, der sich mit jeder Drehbewegung ein winziges Stückchen aus der
Einfassung kämpft.
»Glück gehabt«, sagte die Bedienung und servierte mir ein
paniertes Schnitzel von Handtaschenformat. »Sie haben das letzte bekommen.«
»Und das da?« Ich zeigte auf den Schlag Kässpätzle, der sich
neben dem Fleisch auftürmte.
»Pommes frites sind aus. Guten Appetit.«
»Danke.«
Ein paar Anwohner hatten protestiert, als die Sanierungspläne
öffentlich geworden waren, doch Presse und Politik gingen schnell zur
Tagesordnung über. Unter touristischen Gesichtspunkten machte die Ölmühle nichts her, denn hier speisten keine Touristen. Höchstens aus Versehen. Dabei
gehört die Kneipe zu den urigsten der Stadt, wenn man unter ›urig‹ etwas
anderes versteht als eine begehbare Kuckucksuhr mit Kellnerin im Dirndl. Die
Mehrzahl der auswärtigen Besucher scheint aber genau das darunter zu verstehen:
Butzenscheibendämmrigkeit, Klimaanlage, eine viersprachige Speisekarte und in
der Ecke ein schollerndes Klavier, aus dem ein blonder Corpsstudent alte Weisen
stemmt.
Die Ölmühle hat solche Mätzchen nicht nötig. Oder
sagen wir: hatte sie nicht nötig. Denn ihre Tage waren gezählt. Das wurde jedem
Eintretenden sofort klar, wenn er den antiquarischen Haufen sah, der auf einem
Tisch beim Eingang zum Verkauf auslag. Der Pächter der Kneipe hatte sich
entschlossen, sämtliches Inventar, das er entbehren konnte, an die treue
Kundschaft zu verscherbeln: alte Speisekarten, Gläser, Geschirr, verpackte
Servietten, Kerzenständer, Handtücher, alles zum Preis von wenigen Cent. Für
fünf Euro bekam man einen Zimmerspringbrunnen, die Keramikvenus fürs Badezimmer
war noch billiger. An der Wand hing ein mottenzerfressenes Banner mit der Aufschrift
›Die Ölmühle – gegründet 1912‹. Es war unverkäuflich.
Ich nahm einen großen Schluck Weizenbier. Der Untergang der
Kneipe war durch diesen Devotionalienhandel nicht aufzuhalten. Aber so lebte
sie weiter, in kleinen und kleinsten Stücken über die ganze Stadt verteilt. Oft
war ich nicht in der Ölmühle gewesen. Aber ich würde sie vermissen,
einschließlich ihrer unfreundlichen Bedienung. Nur das Bier nicht.
Plötzlich verstummten die Gespräche ringsum. Ich sah zur Tür.
Alle taten das.
Fünf Typen betraten die Ölmühle . Fünf gut gekleidete
Typen, einer jünger als der andere, und man wartete darauf, dass sie sich
verlegen an den Kopf greifen, dass sie ihren Irrtum erkennen würden: Mist,
falscher Eingang, hier geht es gar nicht zum Trendschuppen, zur Designerbar, wie
konnte uns das passieren. Ja, wie konnte den fünfen das passieren? Sie trugen
Hemden und Barbourjacken, zwei von ihnen Krawatte, ihre Frisuren waren
katalogtauglich und ihre Wangen glatt wie eine Bobbahn. Provozierend
genießerisch blickten sie sich um, hoben eine Braue, zwinkerten einander zu,
verdrückten ein Grinsen im Mundwinkel. Einer von ihnen entdeckte das alte Ölmühlen -Banner,
machte die anderen darauf aufmerksam, die beifällig nickten.
»Schick«, sagte der Vorderste mit dunkler Bruststimme. »Heidelberger
Vormärz.«
Ich kratzte mich hinter einem Ohr. Diese Jungs passten in die Ölmühle wie
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