Schlussakt
Junge Menschen sind manchmal etwas impulsiv. Und wenn Sie keinen Ärger mit mir
haben wollen, bleiben Sie in der Mitte der Räume, am besten immer dicht hinter
mir. Sollten Sie irgendetwas ohne Handschuhe anfassen oder die Lage eines
Gegenstandes verändern, gibt es ein Gemetzel. Verstanden?«
»Absolut verstanden.«
Während ich mir das Latexzeug überstreifte, zitierte Fischer
seine beiden Wadenbeißer zu sich und hielt ihnen einen Vortrag in derselben
Tonlage. Am Ende nickten Greiner und Sorgwitz synchron. Aber ich sah, wie ihre
Unterkiefer mahlten.
Für das Privileg, zusammen mit den Beamten den Tatort
besichtigen zu dürfen, leistete ich gerne einen Beitrag zur Deeskalation. Brav
hielt ich mich am Rockzipfel des Kommissars und setzte die Füße nur dorthin, wo
auch er sich hinwandte. Dass meine Augen durch die gesamte Wohnung spazierten,
konnte niemand verhindern. Die Jungs von der Spurensicherung in ihren weißen
Astronautenanzügen schauten zwar argwöhnisch, aber sie fügten sich. Nur als wir
uns dem Schreibtisch des Dirigenten näherten, protestierten sie.
»Schon gut«, brummte Fischer. »Wir fassen nichts an. Wir sind
überhaupt nicht vorhanden.« Er zog seine Zigarillos und ein Feuerzeug aus der
Jackentasche.
»Chef!«, rief der Rottweiler aus dem Hintergrund und
schüttelte tadelnd den Kopf. Der Kommissar seufzte, nahm seinen noch nicht
glimmenden Glimmstängel aus dem Mund und steckte ihn wieder ein.
Barth-Hufelang war über seiner Arbeit gestorben. Er saß auf
einem lederbezogenen Lehnstuhl, Kopf und Schultern waren auf die Tischplatte
niedergesunken, die kurzen Arme standen vom Leib ab wie Äste. Auf dem Tisch,
vom Schädel des Toten halb verdeckt, lag aufgeschlagen eine großformatige
Partitur, die rechte Wange schmiegte sich in die Noten. Schöner hätte man es
kaum arrangieren können: ein Dirigent, der beim Studium der Musik vor lauter
Ergriffenheit und Verzückung zusammenbricht, den es vom Reich der Töne
schnurstracks in die Sphären ewiger Harmonie verschlägt.
Aber das stimmte nicht. Der tote Barth-Hufelang sah
keineswegs verzückt aus. Seine Augen standen offen, der Mund war zu einem
Entsetzensschrei verzerrt. Nicht zu vergessen sein verwüsteter Hinterkopf, ein
grässlicher Klumpen aus Blut, Knochen, Haut und Haaren. Sollten seine letzten
Gedanken tatsächlich um Musik gekreist sein, hatte sie ihm jemand mit roher
Gewalt aus dem Schädel geprügelt. Aus der klaffenden Wunde war Blut über
Barth-Hufelangs Gesicht geflossen, war auf die Partitur gekleckert, hatte sich
um die Notenköpfe gewunden, war zwischen die Linien gekrochen, hatte all die
fein geschwungenen musikalischen Hieroglyphen schwärzlich-rot eingefärbt.
»Schöne Sauerei, was?«, sagte einer der Kriminaltechniker.
Kommissar Fischer kramte schweigend ein Schächtelchen mit
Kräuterpastillen hervor. Auch eine Antwort. Er ließ seinen Blick durch die
Wohnung schweifen. Überflüssig zu erwähnen, dass er sich dabei an der Nase
kratzte.
»Tathergang?«, schnarrte er. »Tatwaffe?«
»Moment, Moment«, wehrte der Mann ab. Trotzdem schien er
erfreut zu sein, dass sein Rat gesucht wurde. »So schnell schießen die …«
»Ein Schlag oder mehrere?«
»Zwei, würde ich sagen. Der erste zentral von hinten, als er
noch aufrecht saß. Sein Kopf fällt auf die Tischplatte, kippt leicht nach
rechts, so dass ihn der zweite Schlag etwas seitlicher trifft. Schauen Sie,
hier.« Er hob den Schädel des Toten mit spitzen Fingern an. Barth-Hufelangs
rechte Gesichtshälfte, die auf der Partitur gelegen hatte, kam zum Vorschein.
Der Wangenbereich war fleckig und eigentümlich verformt. »Der Schlag muss
enorme Wucht gehabt haben. Kiefer und Jochbein sind hin.«
»Ein kräftiger Täter also?«
»Zumindest eine schwere Tatwaffe. Gefunden haben wir noch
nichts. Ein Gegenstand aus Metall oder Stein, mit Kante. Das wird die
Rechtsmedizin klären.«
»Tatzeit?«
»Gestern Nachmittag oder früher Abend. Genaueres später.«
»Was sagen Sie, Herr Koller?«, wandte sich Fischer ebenso
abrupt wie schroff zu mir. »Hätten Sie damit gerechnet?«
Ich hielt seinem Blick stand. »Bernd Nagel wäre niemals zu so
einer Tat fähig«, sagte ich. Das war zwar keine Antwort auf seine Frage, aber
die hatte auch keine verdient.
»Ach nein?«
»Nagel hält sich aus Prinzip von unappetitlichen Dingen fern.
Wenn er einen Mord plant, dann höchstens mit einem Hauch Arsen in der
Mozartkugel. Aber das hier?
Weitere Kostenlose Bücher