Schlussakt
Vernunft verantworten konnte. In
spitzen Fingern hielt er eine kleinformatige Zeitschrift.
»Was ist?«, brummte Fischer.
Räuspernd trat Greiner zu uns. Er versuchte, dem Kommissar
das Heftchen zu übergeben, ohne dass ich es zu Gesicht bekäme, was
schlechterdings unmöglich war. Der Rottweiler verrenkte sich, ich bekam
Stielaugen. Auch im Rest der Wohnung war man aufmerksam geworden.
»Nun sagen Sie schon. Was gibts?«, fragte Fischer müde. Er nahm
das Heft entgegen und betrachtete es.
»Schauen Sie sichs an«, murmelte der Rottweiler düster. »So
was hat die Welt noch nicht gesehen.«
Sein Auftritt zeigte Wirkung. Alle, die in Hörweite zugange
waren, drängten sich um uns. Die Spurensicherung konnte warten, jetzt ging es
um Wichtigeres. Um Dinge, die die Welt noch nicht gesehen hatte.
Wobei Greiner übertrieb. Nackte Kinder hat die Welt sehr wohl
schon gesehen. Vielleicht selten in dieser Zahl, Seite für Seite, Kind für
Kind, vielleicht auch noch nicht in der Wohnung eines Generalmusikdirektors.
Trotzdem, das Spektakuläre seiner Entdeckung stand dahin. Nackedeis am Strand,
beim Baden, beim Spielen; zwei Jungs pinkelten in die Hecken, ein Mädchen
sonnte sich lesend auf dem Bauch. Privater Alltagskram, der nicht in eine
Zeitschrift gehörte.
»Pervers ist das«, keuchte jemand hinter mir. Zustimmendes
Gemurmel.
Ich sah Kommissar Sorgwitz’ Schädel knallrot werden, rot bis
unter die weißlichen Haarspitzen, während seine Augen ein wenig hervortraten.
Sein Kaugummi ruhte still in einem Mundwinkel, oder er hatte ihn verschluckt.
»Wo haben Sie das gefunden?«, wollte Fischer wissen, ruhig
durch das Heftchen blätternd.
»Unter seinem Bett«, antwortete Greiner mit triumphierendem
Unterton. »Nicht einmal großartig versteckt. Einfach so, direkt darunter,
griffbereit. Unterm Bett.«
»Das ist das Letzte«, sagte der Kriminaltechniker, der uns
die Sache mit den beiden Schlägen erläutert hatte. »Das Allerletzte. Ich meine,
Kinder, da hört sich doch alles auf.«
»Ich könnte kotzen.« – »Widerlich.« So lauteten die Vokabeln
der Abscheu, zu Recht natürlich, es waren Familienväter dabei, die an ihre
eigenen Kinder dachten. Wahrscheinlich hätte ich in ihrer Situation genauso
geurteilt, aber ich besaß nun einmal keine Kinder, und in meinen Augen waren
diese Schnappschüsse harmlos. Urlaubsfotos, Strandbilder, von verrückten
Voyeuren an einen dubiosen Verlag geschickt. Natürlich war es pervers, so etwas
zu tun, es war pervers, sich eine Sammlung solcher Fotos unters Bett zu legen,
trotzdem kam mir die einmütige Empörung von Fischers Mannschaft aufgesetzt und
wohlfeil vor. Und so fiel zuletzt auch jener Satz, der einfach fallen musste:
»Verdient hat er es, die perverse Sau.«
Es war der massige Streifenpolizist aus Fischers Dienstwagen,
der ihn geäußert hatte. Er nickte kurz zu Barth-Hufelangs Leiche hinüber,
während er gleichzeitig in die Runde äugte, auf der Suche nach Unterstützung.
Die bekam er. Ein paar nickten, andere murmelten zustimmend.
»Saachemol«, meldete sich plötzlich einer im weißen
Schutzanzug zu Wort. »Des is doch … des Bubsche do, des geheert doch dem … Ach,
ihr wisse schun.«
»Wer?«, fragte Greiner. »Welcher Bub?«
»Na, do der Blonde. Her, is des net der Kleen vun dem Promi,
der immer …«
»Genug«, unterbrach ihn Kommissar Fischer, klappte das Heft
zu und gab es dem Rottweiler zurück. »Das Ding wird eingepackt, und ich will
kein Wort mehr darüber hören. Vor allem keines an die Öffentlichkeit. Das ist
eine Dienstanordnung. Klar?«
Alles nickte, ich eingeschlossen. Dabei schauten einige von
Fischers Leuten, als seien sie der Meinung, gerade die Öffentlichkeit habe ein
Anrecht auf umfassende Information, wenn es um das Sexualverhalten ihrer
berühmtesten Kräfte ging. Achselzuckend zerstreuten sie sich.
»Na, Herr Koller?«, fragte mich der Rottweiler höflich,
während er die Zeitschrift in einer Plastikhülle verstaute. »Möchten Sie auch
mal einen Blick hineinwerfen? Oder sind Sie bereits Abonnent dieser Blätter?«
»Danke, Herr Greiner«, gab ich ebenso höflich zurück, »mein
Spezialgebiet sind Hunde. Köter mit Beißzwang, richtig scharfe Jungtiere, dafür
könnte ich sterben.«
»Jeder hat so seine Vorlieben.«
»Richtig. In fremden Wohnungen unters Bett kriechen zum
Beispiel.«
»Herr Greiner«, ging Kommissar Fischer rüde dazwischen. »Ich
habe einen Auftrag für Sie.« Er
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