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Schlussakt

Schlussakt

Titel: Schlussakt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcus Imbsweiler
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zog den Rottweiler aus dem Zimmer, zitierte
auch den Kampfhund zu sich und redete eine ganze Weile auf die beiden ein.
    Währenddessen sah ich mich weiter in Barth-Hufelangs Wohnung
um. Ich verhielt mich äußerst diskret, fasste kaum etwas an, kam niemandem in
die Quere, versuchte bloß die Erkenntnisse der Spurensicherer für mich zu
nutzen. Trotzdem warfen sie mir finstere Blicke zu, wenn ich ihnen bei der
Arbeit über die Schulter linste. Einer, der sich gerade dem Inhalt eines
Zeitschriftenkorbs widmete, wandte sich mir zu, um mir eine unfreundliche
Bemerkung an den Kopf zu werfen, verkniff sie sich aber im letzten Moment.
    »Entschuldigung«, sagte ich. »Darf ich mal?«
    »Nee, dürfen Sie nicht«, erwiderte der Typ und entzog mir die
Zeitschrift, nach der ich gegriffen hatte. »Muss erst ausgewertet werden.«
    »Klar. Verstehe. Ist bestimmt das Autogramm des Täters drin.«
Ich hatte genug gesehen. Bei der Zeitschrift handelte es sich um das monatliche
Veranstaltungsmagazin der Region, dessen aktuelle Titelseite fünf markante
Köpfe zierten. Die adretten Jungs aus der Ölmühle , eine Fratze neben der
anderen, eine herausfordernder als die des Nebenmannes. »Frischer Wind aus
Heidelberg«, lautete der Titel, und darunter stand: »Frech, intelligent,
provokant – die aktion aesthetik mischt die Kunstszene auf«. Oder so
ähnlich; bei derartigen Werbesätzen kommt es nicht auf die exakte Floskel an.
Meine fünf Freunde hatte ich sofort wiedererkannt, und schlagartig war mir
bewusst geworden, dass ich sie in derselben Pose schon einmal gesehen hatte:
auf einem Plakat in Marc Covets Wohnung. Deshalb waren mir die Typen so bekannt
vorgekommen, als sie am Sonntagabend in der Ölmühle aufkreuzten. Dass
sie angetreten waren, die hiesige Kunstszene aufzumischen, hatte ich da noch nicht
gewusst. Wenn sie etwas aufmischten, dann höchstens harmlose Kneipenbesucher,
Ästhetik hin oder her.
    Kommissar Fischer kam langsam auf mich zu. In seinem Rücken,
am Ende des Flurs, sah ich Greiner und Sorgwitz die Wohnung verlassen. Ihr Chef
hatte seine nachdenkliche Miene aufgesetzt und schlug seinen Kragen so hoch es
ging.
    »Hier ziehts«, murmelte er. »Irgendwo in dieser Bude steht
ein Fenster offen, und ich hole mir eine Erkältung.«
    »Bude ist gut. Ich wäre froh, wenn ich sie mir leisten
könnte.«
    »Ja, Sie«, entgegnete Fischer, und es klang fast väterlich.
Aus dem Knurrhahn von vorhin war wieder der Philanthrop geworden.
    »Finden Sie solche Heftchen öfter?«, wagte ich ihn zu fragen.
»Und regen sich Ihre Leute immer so auf?«
    »Nur bei Personen, die in der Öffentlichkeit einen
einwandfreien Ruf genießen.« Er nestelte an seinen Taschen herum und beförderte
seine Zigarillos ans Tageslicht.
    »Na, na, na, Herr Fischer.«
    »Ist ja gut«, brummte er und steckte die kleinen Sünderlein
seufzend zurück. »Sie haben recht. Sagen Sies mir nur.«
    »Haben Sie Herrn Greiner weggeschickt, um in Ruhe rauchen zu
können?«
    Er schwieg und beschäftigte sich in Ermangelung eines
Zigarillos mit seiner Nase. »Wenn die Presse von Barth-Hufelangs Neigungen
erfährt«, sagte er, »überschlägt sie sich. Und auch so wird es ein Rauschen im
Blätterwald geben. Einen Aufschrei der Empörung.«
    »Ich kann es mir vorstellen.«
    »Nichts können Sie. Ich sage es Ihnen als alter Mann, der die
Spielregeln einer Kleinstadt kennt: Sie haben keinen blassen Schimmer von den
Schlagzeilen, die heute noch geschmiedet werden.« Melancholisch wiegte er sein
Haupt.

Dieses E-Book wurde von der "Verlagsgruppe Weltbild GmbH" generiert. ©2012

13
    Kommissar Fischer, der Mann mit dem schütteren
Haar und der gelblichen Gesichtsfarbe, sollte recht behalten. Was während der
nächsten Tage in aller Öffentlichkeit durchgekaut, will sagen: vorgekostet,
eingespeichelt, kleingemahlen, hinuntergeschluckt und endverdaut wurde, ging
auf keine Kuhhaut. Zumindest keiner mir bekannten Kuh. Über Wochen wärmte die
Presse den ewig selben Brei auf, käute genüsslich wieder, was schon durch
sieben andere Mägen gegangen war. Das Betroffenheitsrecycling lief auf
Hochtouren.
    Als am Donnerstag, zwei Tage nach Entdeckung der Bluttat,
alle Zeitungen Barth-Hufelang der Pädophilie bezichtigten, war klar, dass in
Fischers Mannschaft eine Loyalitätslücke klaffte. Keine Einzelheiten über den
Mord an die Presse, keine Erwähnung des Schmuddelheftchens, so lautete die
Anweisung. Irgendeiner pfiff darauf.

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