Schlussakt
Höchstwahrscheinlich einer der Beamten,
die an der Durchsuchung der Wohnung teilgenommen hatten. Wer es war, ob er aus
ehrlicher Entrüstung plauderte, ob er Geld bekam – man erfuhr es nie. Greiner
und Sorgwitz schieden meiner Meinung nach aus. Die beiden waren viel zu
ehrgeizig, um ihre Karriere wegen solcher Lappalien aufs Spiel zu setzen. Ansonsten
kamen alle infrage, nicht nur der Polizist, der den Mord gutgeheißen hatte. Ich
selbst wurde seltsamerweise nie behelligt, obwohl ich Privatflic und als
solcher von Natur aus verdächtig, geschwätzig und käuflich war. Vielleicht
hatte Kommissar Fischer gespürt, dass mich Barth-Hufelangs Bettlektüre kalt
ließ.
Andere ließ sie freilich nicht kalt. Und wehe, wenn diese
anderen einen Griffel in der Hand hielten oder vor einem flimmernden PC-Monitor
saßen! Dann wurde formuliert, was die Muttersprache hergab. Wer schreiben
konnte, schrieb, und er tat dies in der wohligen Gewissheit, zur Gemeinschaft
der Guten zu gehören. Ein geheimes Band moralischer Überlegenheit umschlang
unsere Medienvertreter. Dass die Öffentlichkeit erst 48 Stunden nach Entdeckung
des ermordeten Barth-Hufelang von dessen dunklen Seiten erfuhr, setzte dem
Ganzen die Krone auf. Denn so erhielten alle Beteiligten die Gelegenheit, ihre
Empörung gleich zweimal und von verschiedenen Standpunkten aus zu artikulieren.
Verwerflich war ja schon
der Mord an sich. Immerhin handelte es sich bei dem brutal erschlagenen – ein
ganz Pfiffiger schrieb: ›hingerichteten‹ – Familienvater um den obersten
musikalischen Repräsentanten Heidelbergs. »Ein schwarzer Tag für die Menschen
unserer Stadt«, so oder ähnlich ereiferten sich Kommunalpolitiker, die sich
Stimmen bei den anstehenden Wahlen erhofften. Marc Covets Neckar-Nachrichten zählten sogar zwei Opfer: den Menschen Barth-Hufelang und die Kultur
höchstselbst. Der Mord in Handschuhsheim, so las man in einem Kommentar auf
Seite zwei, war nicht einfach ein Mord, sondern Symbol für die Verrohung einer
Gesellschaft, der die traditionellen Werte abhanden gekommen waren. ›Was ist
uns noch heilig‹, donnerte es der verzagten Leserschaft entgegen, ›wenn mit der
Musik die unschuldigste aller Künste in den Schmutz gezogen und mit Füßen
getreten wird?‹ Ein schönes Bild; nur dass der bedauernswerte Barth-Hufelang
keineswegs totgetreten, sondern totgeschlagen worden war. Da die Tatwaffe
jedoch bis auf Weiteres verschwunden blieb, musste sich der zornige
Kanzelprediger auf metaphorisches Ufer retten.
Dort war er nicht der Einzige. Man warnte vor dem Untergang
der urbanen Kultur oder gleich des Abendlandes. Der Koloss Barth-Hufelang war
gefällt, sein Sturz ließ die gesamte Metropolregion erzittern. ›Was tut die
Polizei?‹, wurde gefragt. ›Wer schützt uns?‹ Hinter solchen Fragen steckte das
schlechte Gewissen vieler Redakteure, dass man sich für das Opfer des ersten
Mords, einer gewissen Garderobiere namens Annette Nierzwa, nie wirklich
interessiert hatte. Umso heftiger wucherten nun die Verschwörungstheorien.
Natürlich gab es auch besonnenere Stimmen, die sich gegen
diesen apokalyptischen Tonfall verwahrten, aber zumindest in den ersten Tagen
fiel es ihnen schwer, Gehör zu finden. Gewissermaßen zwischen den Extremen
bewegte sich eine Reihe von Leserbriefschreibern, die der Diagnose vom Verfall
der Sitten zustimmten, sie allerdings auf das Künstlermilieu beschränkt wissen
wollten. Durch die schrecklichen Ereignisse rund um das Stadttheater sahen sie
ihre Vorurteile gegenüber allem, was unter dem Deckmantel der Kunst ihre
Steuergelder fraß, bestätigt. Barth-Hufelang mochte ein exzeptioneller Dirigent
gewesen sein, als Ehebrecher habe er ebenfalls seine Meriten gehabt. Es sei
eben schwer, zwischen all der Leidenschaft auf der Bühne und dem eigenen
Hormonhaushalt einen sauberen Trennstrich zu ziehen.
Nach dem dritten oder vierten Leserbrief reagierten die
Theaterleute. Sie beriefen eine gut besuchte Pressekonferenz ein und ließen
verlauten, sie wüssten sehr wohl zwischen Realität und Fiktion zu
unterscheiden, das lerne man nirgendwo besser als in ihrem Beruf, und überhaupt
liege die Kriminalitätsrate von Schauspielern, Musikern und Tänzern deutlich
unter dem Bundesdurchschnitt, wie statistisch leicht zu belegen sei. Zu ihrer
Unterstützung meldete sich bei derselben Pressekonferenz ein international
angesehener Theaterwissenschaftler zu Wort, der den Spieß der
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