Schlussakt
von Wonnegut nichts. Spätestens seit Mittwochnachmittag summten die
Redaktionsräume der Neckar-Nachrichten vor Gerüchten, aber kein Wort
davon drang an die Ohren der Alten. Leicht auszumalen, mit welch diebischer
Freude die Lokalredakteure sich gegenseitig versicherten dichtzuhalten. Am
nächsten Tag erschien die von Wonnegut’sche Anzeige. Und sie erschien nicht
irgendwie. Sondern direkt neben dem Aufmacher im Lokalteil: ›Geheime
Obsessionen eines Dirigenten‹. Da konnte Frau von Wonnegut in ihrem Nachruf
noch so sehr die Lauterkeit des Verstorbenen preisen, seinen Opfergang für die
Musik, seine apollinische Heiterkeit und seinen künstlerischen Ernst – es war
für die Katz. Das kleine Heft erschlug alles. ›Wer die Kunst liebt, trauert um
diesen Mann‹, stand links; gezeichnet: ›Elke Friederike von Wonnegut‹. Rechts
hingegen las man: ›Im Nachhinein fragen sich die Heidelberger, was für ein
Mensch das war, der Beethoven, Brahms und Bruckner zelebrierte, der von der
Stadt mit Ehrungen und finanziellen Zuwendungen überhäuft wurde und zur selben
Zeit unte r der Bettdecke seinen abnormalen
Lüsten frönte …‹
Meine Gönnerin schäumte.
Sie tobte. Einen solchen Wutausbruch hätte ich ihr gar nicht zugetraut, schon
gar nicht am Telefon. In Ermangelung eines besseren Opfers ließ sie alles an
mir, Max Koller, aus: Warum ich sie nicht umfassend informiert hätte? Weshalb
ich sie dermaßen in die Falle hätte gehen lassen? Ob ich überhaupt mein Geld
wert sei? Na, ich gab der Alten mit gleicher Münze zurück und erklärte, es sei
weder meine Art noch meine Pflicht, die persönlichen Geschmacklosigkeiten eines
Mordopfers weiterzutratschen. Ganz abgesehen davon, dass ich der Polizei
gegenüber Geheimhaltung gelobt hatte. Wenn Frau von Wonnegut beim Wettlauf um
das publikumswirksamste Kondolieren unbedingt die Nase vorn haben wollte, war
das ihr Problem. Wir blafften uns also eine Zeit lang an, bis die Leitungen
glühten. Dann hängte sie auf Nimmerwiederhören ein, und ich rechnete meine
Spesen zusammen.
Aber dazu später.
Dieses E-Book wurde von der "Verlagsgruppe Weltbild GmbH" generiert. ©2012
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»Nein, das können Sie sich nicht vorstellen«,
wiederholte Kommissar Fischer trübsinnig. »Das wird ein Gemetzel. Bei den
kommenden Pressekonferenzen melde ich mich krank.«
Das erforderliche Attest würde ihm jeder Arzt dieser Welt
ausstellen. Dennoch traute ich dem alten Fuchs nicht über den Weg. Seine
Kurpfälzer Grobheit war bloß Fassade. Dahinter verbarg sich die Erfahrung von
zig Dienstjahren und Grabenkämpfen. Lieber auf der Hut sein.
»Bis die Öffentlichkeit von Barth-Hufelangs Interessen
erfährt, haben Sie den Mörder längst eingebuchtet«, sagte ich. »Viele kommen ja
nicht infrage.«
»Wieso nicht?«
»Außerdem werden Ihre Leute hier jede Menge Spuren finden.«
»Wieso kommen nicht viele infrage, Herr Koller?«
»Das sehen Sie doch selbst. Barth-Hufelang erhält einen
Schlag mit einem schweren Gegenstand. Von hinten, während er seelenruhig am
Schreibtisch sitzt. Offenbar hat er nicht mit einer Attacke gerechnet, hat dem
Mörder vertraut. Ein guter Bekannter also.«
»An wen denken Sie?«
»Keine Ahnung, Herr Fischer. Ich habs nicht so mit dem
Denken. Eine Geliebte würde gut passen. Oder ein Geliebter, wegen der Härte des
Schlags. Man kennt sich, hat einander alles gesagt, sieht sich nicht mehr ins
Gesicht, während man redet oder nicht. Passen Sie auf, am Schluss war es die
Tatsache, dass Barth-Hufelang dem Mörder den Rücken zuwandte, die das Fass zum
Überlaufen brachte. Wenn du mich nicht mehr ansehen magst, schlage ich dir den
Schädel ein.«
»Nur dass die Geliebte des Dirigenten am Samstag selbst Opfer
eines Mords wurde und zur Annahme eines männlichen Geliebten keinerlei Anlass
besteht.«
»Da eröffnet der Fund von Herrn Greiner ja ganz neue
Perspektiven.«
Fischer winkte ab. »Sie gehen also davon aus«, sagte er,
»dass der Dirigent einer ihm bekannten Person die Tür geöffnet hat. Er bittet
die Person herein, setzt sich nach gewisser Zeit an den Schreibtisch vor die
aufgeschlagene Partitur – und bekommt einen tödlichen Schlag zugefügt.
Richtig?«
»So ungefähr.«
»Und wenn er die Tür gar nicht selbst geöffnet hat? Wenn sich
die Person ohne sein Wissen Zutritt zur Wohnung verschafft hat?«
»Haben Sie Spuren eines Einbruchs gesehen? Ich nicht.«
»Wer redet von Einbruch?«, entgegnete er und
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