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Schlussakt

Schlussakt

Titel: Schlussakt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcus Imbsweiler
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ihr der Dolmetscher sagen. Muss er ja auch.«
    »Wer wohnt noch in dem Haus? Hat jemand etwas gesehen,
gehört? Gibt es Zeugen?«
    »Nein.« Jetzt wurde der Mann eifrig. »Im Erdgeschoss ist
dieses Maklerbüro, das macht erst um zehn Uhr auf. Darüber wohnt eine alte
Dame, so ein Mütterchen, wissen Sie, die hört und sieht kaum noch etwas, auch
wenn sie nicht gerne drüber redet. Wie die alten Leute so sind. Würde lieber
noch dreimal die Treppe runterfallen, als den Pflegedienst kommen zu lassen
oder ins Altersheim zu gehen. Das müssen Sie verstehen, die Frau ist in dem
Haus geboren.«
    »Das versteht Kommissar Fischer ganz sicher«, sagte ich.
»Stimmts?«
    »Also keine Zeugen«, knurrte Fischer. »Das perfekte Haus für
einen Mord.«
    »Es gehört ihr ja auch«, fuhr der Polizist fort. »Ihre Kinder
wollen es schon lange verkaufen, aber da haben sie sich geschnitten. Denn klar
im Kopf ist die Alte noch, da gibts nix.«
    »Klar, aber taub.«
    »Vielleicht kann Ihr Dolmetscher auch Gebärdensprache«, sagte
ich.
    »Wenn Sie so weitermachen, werden Sie sich bald in
Gebärdensprache unterhalten müssen«, gab Fischer zurück, aber ich sah ein
kleines Schmunzeln um seine Lippen spielen. Er griff in die Jackentasche, holte
zum dritten Mal innerhalb von 20 Minuten seine Zigarillos hervor und steckte
sich einen in den Mund. »Zwischenfazit«, murmelte er, dann hob er die Stimme.
»Und ich kann nun mal« – ohne mich anzublicken, drohte er mir mit einem Finger
– »ich kann kein Fazit ziehen, wenn ich nichts zwischen den Lippen habe, ist
das klar, Sie Privatpflaume? Also: Es gibt keine Zeugen, es gibt keine Aussage
der Frau, die den Toten gefunden hat, und es gibt keine Tatwaffe.«
    »Das stimmt«, nickte der Polizist. »Keine Tatwaffe.«
    »Wir wissen nicht, ob Mann oder Frau, jung oder alt, Musiker
oder Nichtmusiker. Ein gewisser Max Koller behauptet zwar, Mörder und Opfer
müssten sich gut gekannt haben, aber ich hege da so meine Zweifel.«
    »Das ist Ihr gutes Recht«, sagte ich.
    »Wollen wir hoffen, dass die Spusi was rauskriegt«, brummte
Fischer düster und schob den kalten Zigarillo von einem Mundwinkel in den
anderen. Der Kriminaltechniker von vorhin nickte ihm aus einer entfernten Ecke
des Zimmers aufmunternd zu.
    »Da wäre noch was«, meldete sich der Streifenpolizist
schüchtern.
    »Ja?«
    »Als wir eintrafen, lief Musik.«
    »Was für Musik? Wo lief die?«
    Der Mann zuckte die Achseln. »Na, hier. Klassische Musik. Da
war eine CD eingelegt.«
    »Wie bitte?« Kommissar Fischer riss die Augen auf. »Als Sie
in das Zimmer kamen, lief eine CD? Sie wollen doch nicht sagen, dass die
Putzfrau …«
    »Nein«, unterbrach der Polizist hastig. Einfache Sachverhalte
klar und verständlich zu erklären, fiel ihm sichtlich schwer. »Nicht die
Putzfrau. Die CD lief die ganze Nacht. Immer wieder von vorne. Da war die
›Repeat‹-Taste gedrückt.«
    Fischer nahm vor Überraschung den Zigarillo aus dem Mund.
Dann schleuderte er ihn mit einer heftigen Handbewegung durch den Raum, was ihm
einen Tadel des Kriminaltechnikers einbrachte, und wandte sich mir zu. »Hab
ichs Ihnen nicht gesagt?«, rief er. »Als der Mord geschah, lief Musik. Es war
laut in dem Zimmer. Gut möglich, dass Barth-Hufelang seinen Mörder nicht wahrgenommen
hat.«
    »Möglich«, sagte ich. »Und wenn sie erst nach dem Mord
angestellt wurde? Was war es für Musik? Eine Oper, eine Sinfonie?«
    Der Uniformierte zuckte wieder ratlos die Schultern. Eine
Bewegung, die er in seiner Laufbahn als Streifenpolizist oft vollzogen und
dementsprechend perfektioniert hatte. Sie saß ihm wie angegossen.
    »Wie soll ich das wissen?«, entgegnete er. »Musik halt.« Ein
Privatflic, der eine Oper von einer Sinfonie unterscheiden konnte, war ihm noch
nicht begegnet. Genau genommen konnte ich das auch nicht, aber das brauchte er
nicht zu wissen.
    »Musik halt«, brummte Fischer ungehalten. Er schien sich für
seinen Berufsstand zu schämen.
    »Warten Sie«, sagte der Polizist, huschte zur Stereoanlage
hinüber und griff nach einer CD-Hülle, die obenauf lag.
    »Nichts anfassen, Kollege«, tönte die Stimme des
Kriminaltechnikers durch den Raum.
    Der Polizist ließ die Hülle fallen, zog mit zitternden
Fingern einen Latexhandschuh aus der Tasche und streifte ihn über. Bis er uns
die CD-Hülle gebracht hatte, war Kommissar Fischer einmal durch das Zimmer
gestiefelt, hatte seinen Zigarillo aufgesammelt und ihn sich wieder

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