Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schlussakt

Schlussakt

Titel: Schlussakt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcus Imbsweiler
Vom Netzwerk:
in den Mund
gesteckt.
    »Anton Bruckner«, las er. »Nullte Sinfonie. Schon mal gehört,
Herr Koller?«
    Ich kniff die Augen zusammen und überlegte. Angestrengt.
»Berliner Philharmoniker«, sagte ich. »Karajan. 1982. Eine Live-Aufnahme. Wir
hatten Plätze in Reihe sieben, aber die Klos waren auch nicht besser als bei
uns in der Schule.«
    »Und warum Nullte Sinfonie?«
    »Nach der Ersten ging es abwärts mit Bruckner. Also zählte er
von eins rückwärts. Ab der minus Zehnten kann man sich das Zeug nicht mehr
anhören.«
    »Sie meinen, dann hätte man den Mord auch mit einer Sinfonie
begehen können, ganz ohne Schläge auf den Hinterkopf? Ich werde darüber
nachdenken. Aber vorher will ich genau wissen, was hier los war.« Er wandte
sich dem Polizisten zu. »Also, Sie kommen hier an und hören Musik.«
    Der Mann nickte. »Schon im Treppenhaus. Die Türkin stand vor
der Tür und jammerte, und die Tür war offen.«
    »Das heißt, die Musik war laut?«
    »Ziemlich laut.«
    »Und was dann?«
    »Na, wir sind rein, sehen die Leiche, fassen nix an,
wirklich, angefasst haben wir nix, und dann habe ich Sie verständigt. Mein
Kollege hat versucht, die Türkin ruhig zu stellen.«
    »Ruhig zu stellen?«
    »Ruhig zu kriegen. Zu beruhigen, wenn Sie so wollen.«
    »Und die Musik?«
    »Wieso? Was ist mit der?«
    Fischer warf mir einen flehenden Blick zu. Ich bewunderte ihn
für seine Geduld. »Die Musik«, sagte er, »lief, als Sie kamen. Aber jetzt ist
sie aus. Also?«
    »Ach so, ja. Ich habe sie ausgestellt.«
    »Ausgestellt. Wie?«
    »Na, am ›Aus‹-Knopf. Da, an der Anlage.«
    »Nachdem Sie Handschuhe angezogen haben.«
    Der Mann errötete. »Das …
das jetzt nicht direkt.«
    »Ich dachte, Sie hätten nix angefasst.«
    »Nicht im eigentlichen Sinne.«
    »Bloß die Stereoanlage. Uneigentlich. Und dann haben Sie die
CD rausgeholt, um zu sehen, was …«
    »Nein!«, rief der Polizist beschwörend. »Hab ich nicht. Wir
haben alles so gelassen, wie es war. Nur ohne Musik halt.«
    »Warum haben Sie die Musik ausgestellt?«
    »Weil sie … Es schien mir unpassend. Sehen Sie, der Tote, das
Blut … und dann die Musik im ganzen Zimmer. Man bekam eine Gänsehaut.«
    »Starten Sie die CD bitte«, brummte Fischer. Der Uniformierte
strich geflissentlich seinen Handschuh glatt und drückte auf den ›An‹-Knopf.
Die CD begann sich surrend zu drehen, Musik umspannte den Raum, erst leise,
dann zunehmend stark und selbstbewusst. Eine Gänsehaut bekam ich nicht, aber
man verstand, weshalb der Polizist die akustische Untermalung der Szene als
unpassend empfunden hatte. Von Fischer mit einem Kopfnicken entlassen, trollte
er sich erleichtert.
    »Nullte Sinfonie«, murmelte der Kommissar mit einem Blick auf
das CD-Cover. »Man lernt nie aus.«
    »Wissen Sie was?«, mischte sich der Kriminaltechniker ein.
»Das war ein Serienkiller. Ein Perverser, der nach einer bestimmten Masche
vorgeht. Und die Musik gehört dazu, als Kick oder so was.«
    »Quatsch«, sagte Fischer.
    »Ein Serienkiller, ich sags Ihnen.«
    »Machen Sie Ihre Arbeit, wir machen unsere«, brüllte der
Kommissar. Sein Gebrülle zog einen Hustenanfall nach sich, woraufhin mal wieder
das Stofftaschentuch zum Einsatz kam. Der Zigarillo musste kurzzeitig weichen.
    »Na klar, Bruckner ist eine Botschaft«, flüsterte ich ihm zu.
»Erst der Figaro , dann die Nullte Sinfonie. Wir sollten einen
Musikwissenschaftler hinzuziehen.«
    »Verschonen Sie mich. Hier laufen schon genug Spinner rum.«
    Mir lag eine passende Entgegnung auf der Zunge, doch in
diesem Moment klingelte Fischers Handy. Anstatt zu fluchen oder wenigstens
ungehalten zu brummen, wie er es sonst tat, wenn er angerufen wurde, nahm der
Kommissar das Gespräch anstandslos entgegen und verließ den von Musik erfüllten
Raum. Nachdenklich trat ich an eines der Fenster.
    Der zu dem Haus gehörende kleine Garten wurde durch Hecken
begrenzt, denen ein Beschnitt gutgetan hätte. Dahinter weitere Grünparzellen,
jede schmal wie ein Handtuch und für nichts zu gebrauchen als für eine
Kinderschaukel oder ein paar Wäscheleinen. Kahle Häuserwände schlossen das
Karree ab, Balkone mit abblätterndem Putz hingen an ihnen, zugestellt mit
Bierkästen, Stühlen, ausrangierten Kindersachen und all dem Zeug, das für den
Sommer gedacht ist, den Winter über verrottet, bis man es im April wegschmeißen
kann. Zwischen zwei Fenstern war eine Leine mit bunten, rechteckigen
Stofffetzen gespannt, Lappen

Weitere Kostenlose Bücher