Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schlussakt

Schlussakt

Titel: Schlussakt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcus Imbsweiler
Vom Netzwerk:
dahingleiten, auf dem Fluss treiben, dann auf
einem Strom und zuletzt in der Weite der Ozeane: der große Schlaf.
    Barth-Hufelang schlief ihn nicht. Er hing noch immer über
seinem Schreibtisch, über seinen Noten, und eine Armee von Laborameisen wuselte
um ihn herum. Sie begrapschten und fotografierten ihn, leuchteten ihm in die
Augen, hoben ihn hoch, vermaßen, durchsuchten, zogen ihn aus, zogen ihn an,
öffneten seinen Mund, rasierten seinen Schädel, sägten seinen Brustkorb
auseinander und schauten ihm in den After. Ein Computer würde Zahlen
ausspucken, Tabellen und Diagramme, die alle für sich reklamierten, ein
getreues Abbild des Generalmusikdirektors zu sein. In Wahrheit sagten sie
nichts über das Häuflein gewesenen Mensch, das in einem Stahlfach der
Pathologie ruhte und auf das Paradies oder die Hölle oder irgendetwas
dazwischen wartete.
    Fröstelnd zog ich die Schulterblätter zusammen. Hoffentlich
hatte Annette Nierzwa inzwischen ihren Frieden gefunden. Ich stieg von der
Mauer und ging den Weg zurück, den ich gekommen war. Meine Beine hatten keine
Lust zu laufen, mein Hintern keine Lust, in der Kälte zu bleiben. Irgendetwas
wollte mir mein Körper durch seine Unlust mitteilen, aber was?
    Als ich zwei Knirpse mit Wurstbrötchen in der Hand sah,
wusste ich es. Ich hatte Hunger. Ich fror, weil ich Hunger hatte, und ich hatte
Hunger, weil ich fror. Ohne Frühstück aus dem Haus, eine Leiche auf nüchternen
Magen, das hielt der zäheste Privatdetektiv nicht aus.
    »Wo habt ihr das her?«, fragte ich die beiden Jungs. Ich
musste mich ziemlich gierig anhören, jedenfalls zeigten sie wortlos, aber
synchron in Richtung Hauptstraße. Eine halbe Minute später stand ich an der
Theke einer Bäckerei und kaufte mir einen Doppelweck mit daumendick Fleischkäse
darauf. Ich war vielleicht zehn Meter weit gekommen, als ich nur noch einen
kleinen Happen davon in der Hand hielt. Kaute aus, drehte mich um und kaufte
einen zweiten. Schlagartig ging es mir besser.
    Ich kaute noch inbrünstig, als mein Handy Alarm schlug. Mit
fettigen Fingern zog ich es hervor.
    »Hallo, Christine. Was
gibts?«
    »Bist du am Essen?«,
fragte meine Ex-Frau irritiert.
    »Gleich nicht mehr. Ich ha be
gerade die Fleischkäsevorräte der Hauptstraße geplündert.«
    »Wie schön.«
    Was daran schön sein sollte, erschloss sich mir erst, als
Christine vom Essen im Allgemeinen auf ein Essen im Speziellen überleitete. Auf
unser gemeinsames Abendessen nämlich, das seit Wochen überfällig war und das
nicht zwingend aus einer Fleischkäsesemmel bestehen würde. Zur Not natürlich
schon, Hauptsache gemeinsam etwas unternehmen.
    »Mal sehen«, sagte ich.
    Christine hatte noch Glück. Eine Viertelstunde vorher, und
ich hätte ihren Anruf mit knurrendem Magen einfach weggedrückt. ›Mal sehen‹
hieß schon mal nicht ›Nein‹. ›Mal sehen‹ war angesichts meines Unwillens, mich
mit meiner Ex bei Kerzenschein in irgendeinem überteuerten Schuppen zu treffen,
eine geradezu positive Antwort.
    Leider sah das Christine nicht so. Sie fing an zu
lamentieren, über mich, über uns, über Männer und Frauen und dass ihr Horoskop
heute Morgen doch recht gehabt habe. Schweigend hörte ich ihr zu. Sie hatte gut
lamentieren, an ihrem gut geheizten Arbeitsplatz auf dem gepolsterten
Beamtensessel.
    »Horoskope haben immer recht«, sagte ich. »Bring mir eines,
in dem steht, dass dein Ex-Mann heute mit dir essen geht, dann werde ich sofort
Folge leisten.«
    »Wenn du so drauf bist, vergeht mir wirklich die Lust auf was
Gemeinsames.«
    »Na also«, grinste ich.
    Okay, das war zu viel des Schlechten. Ich sagte, ich hätte
nur Spaß gemacht, und natürlich hätte ich große Lust, etwas mit ihr zu
unternehmen, leider sei es momentan sehr schwierig, weil mich ein neuer Fall
komplett beanspruche.
    »Ich muss kurzfristig verfügbar sein«, erklärte ich. »Wenn da
ein Anruf kommt, bin ich weg, und das wäre doch schade bei einem Abendessen zu
zweit.«
    »Worum geht es? Um den Mord im Theater?«
    »Genau.«
    »Dann lass uns zusammen in eine Vorstellung gehen, da kannst
du gleichzeitig im Theater recherchieren. Oder so tun als ob.«
    Ich wusste nicht, wie ernst dieser Vorschlag gemeint war,
aber er leuchtete mir sofort ein.
    »Gute Idee. Das machen wir.«
    »Echt? Mein Mann mit mir im Theater? Schick!«
    »Ex-Mann. Und auch nur, solange ich anziehen darf, was ich
will.«
    »Na gut«, sagte sie nach einigem Zögern.

Weitere Kostenlose Bücher