Schlussakt
»Aber es sollten
schon Kleider sein. Wie wärs mit der Lustigen Witwe ?«
»Mit welcher Witwe?«
»Der Operette. Die steht auf dem Spielplan. Wobei ich gehört
habe, dass die Inszenierung beim Abo-Publikum nicht
gut ankommt. Weil der Tenor ein Schwarzer ist.«
»Ich bin absoluter
Operetten- und Witwenfan, Christine. Allerdings fürchte ich, dass die aktuellen
Vorkommnisse aus der Lustigen eine Traurige Witwe machen und die
Vorstellung pietätshalber abgesagt wird.«
»Davon stand nichts in der
Ze itung. Und versteh mich nicht falsch, Max, aber es wäre das erste Mal,
dass eine Vorstellung wegen einer Garderobiere ausfallen würde.«
Nicht wegen der Garderobiere, dachte ich. Nicht wegen Annette
Nierzwa. »Was hältst du von Figaros Hochzeit ?«, fragte ich. »Hatte eben
erst Premiere.«
» Figaros Hochzeit ?«, gab sie überrascht zurück. »Eine
Mozart-Oper? Da willst du rein? Das Ding dauert über drei Stunden, ist dir das
klar?«
»Ich bin auf alles gefasst«, sagte ich kämpferisch. »Pass
auf, ich erkundige mich, ob in den nächsten Tagen eine Vorstellung stattfindet,
und besorge die Karten. Was hältst du davon?«
»Boah.« Christine war überwältigt. Sie würde sich kneifen,
sobald sie eingehängt hatte. Max Koller im Heidelberger Stadttheater, drei
Stunden lang klassischer Musik ausgesetzt, und sie an seiner Seite. Das war
Geburtstag und Weihnachten an einem Tag. »Ich kann es nicht fassen«, sagte sie.
»Und du hast auch nicht vor, den Dirigenten zwischen den Arien nach seinem
Alibi zu befragen?«
»Garantiert nicht.«
Beglückt legte sie auf.
Ich war mittlerweile am Ende der Fußgängerzone angekommen.
Eine Blechkolonne donnerte um den Bismarckplatz herum. Ich wandte mich nach
rechts, Richtung Neuenheim. Im Gehen zog ich meinen kleinen Notizblock hervor,
auf dem die Nummer von Barth-Hufelangs Sekretärin stand. Sie meldete sich nach
dem ersten Klingeln.
»Der Chef ist aber noch nicht da«, sagte sie, und ich sah sie
vor mir mit ihrer spitzen Nase und dem verkniffenen Mund.
»Ich weiß. Sagen Sie, steht Figaros Hochzeit in den
nächsten Tagen auf dem Programm?«
»Ja, übermorgen. Für Karten wenden Sie sich bitte an die
Theaterkasse.«
»Danke. Ist Frau Schulz im Haus, die Dramaturgin?«
Nein, sie sei erst morgen wieder anzutreffen. Ich bat um einen
Termin und bekam ihn gnädig gewährt: Mittwoch früh, neun Uhr. Bitte pünktlich.
Unter der Telefonnummer des Sekretariats hatte ich mir die
von Annettes Ex-Mann notiert. Aber Woll ging nicht ran. Ich würde mich nach
seiner Handynummer erkundigen müssen. Und weil ich schon einmal am Telefonieren
war, rief ich meine Auftraggeberin an. Vielleicht stand Frau Stein gerade in
der Küche und briet etwas Leckeres. Dann würde sich ein Besuch lohnen.
Ich ließ es lange läuten. Kein Anrufbeantworter sprang an,
nichts. Kurz bevor ich resignierte, knackte es in der Leitung. Ich schirmte ein
Ohr gegen den Verkehrslärm der Brückenstraße ab und drückte das Handy gegen das
andere.
»Hallo?«, rief ich.
Nichts.
»Hallo? Ist da jemand?«
Da schnaufte doch einer!
»Hallo?«, kam es vorsichtig zurück.
»Wer spricht da?«
Stille.
»Herr von Wonnegut, sind Sie das?«
Ich bildete mir ein, ihn nicken zu hören. Nein, diesem
putzigen Männchen mit den wirren Haaren konnte man nicht böse sein.
»Hier ist Max Koller. Ich habe vorgestern mit Ihrer Frau
gefrühstückt. Kann ich sie sprechen?«
»Die ist nicht da«, piepste es.
»Schade. Wann kommt sie denn zurück? Wann kann ich sie
erreichen?«
»Ich weiß nicht.«
Wieder Stille. Ich wartete, er wartete.
»Wissen Sie nicht, wann sie zurückkommt?«, fragte ich. »Oder
wissen Sie nicht, wo sie gerade ist?«
Pause. »Ich weiß nicht.«
»Herr von Wonnegut«, sagte ich geduldig, »ich muss Ihre Frau
so bald wie möglich sprechen. Es ist sehr wichtig. Ich arbeite nämlich für
sie.«
»Ja.«
»Ich bin Privatdetektiv, wissen Sie.«
Erneut Schweigen am anderen Ende der Leitung. Dann ein
unverhofft frohes »Oh! Moment!«, ein kurzer Schlag, wie wenn ein Hörer fällt
oder unsanft weggelegt wird, und zuletzt wieder Stille. Sollte ich mir um den
alten Wicht Sorgen machen?
Gleich darauf hörte ich ihn wieder in den Hörer pusten.
»Friedhof«, sagte er.
»Bitte?« Ich verstand nur Friedhof.
»Ja. Auf dem Tisch liegt ein Zettel, und auf dem Zettel steht
Friedhof. Das macht sie manchmal, wenn sie geht.«
»Das heißt, Ihre Frau ist auf den Friedhof
Weitere Kostenlose Bücher