Schlussakt
gegangen? Auf
welchen denn?«
»Das steht da nicht.«
»Schade.«
»Ihre Eltern liegen in Neuenheim. Vielleicht …«
»Verstehe. Auf dem Neuenheimer Friedhof. Und Sie meinen, dort
könnte ich sie treffen?«
»Tja … wenn sie da ist.«
Er hatte recht. Zu einer überflüssigen Frage gehörte eine überflüssige Antwort.
Ich bedankte mich und beendete das Gespräch. Auf dem Weg zum Neuenheimer
Friedhof kam ich an meiner Wohnung vorbei. Ich holte mein Stadtrad aus dem Hof
und legte die letzten Meter fahrend zurück.
Elke von Wonnegut erblickte mich, bevor ich sie sah.
»Huhu, Herr Koller!«, kreischte sie und winkte mir über die
Gräber zu. Ihre Augen waren also noch gut in Schuss. Sie stand in einem der
Seitenwege des schachbrettartig angelegten Friedhofs, beide Hände auf einen
Stock mit silbernem Knauf gestützt, das pfiffige Mausegesicht von einer
Pelzmütze eingerahmt. Neben ihr kniete Frau Stein vor einem Granitsarg Größe
XXL, zupfte und schnitt an immergrünen Gewächsen herum. Für mich hatte sie nur
einen kurzen Seitenblick übrig. An Eiben und kahlen Trauerweiden
vorbeischlendernd, gesellte ich mich zu den beiden Damen.
»Was für eine schöne Überraschung«, strahlte meine
Auftraggeberin, vom Winken ganz außer Atem. »Oder haben Sie uns etwa gesucht,
Herr Koller?« Ihr Strahlen verriet mir, dass die schlechten Nachrichten noch
nicht zu ihr gedrungen waren.
Ich servierte sie ihr häppchenweise. Nur nichts überstürzen.
Schon am ersten Häppchen hatte sie schwer zu knabbern. Bernd Nagel in
Untersuchungshaft? Sie runzelte die Stirn, schüttelte das Köpfchen. Nicht zu
fassen. Der liebe Herr Nagel! Da konnte es sich doch nur um einen Irrtum
handeln.
»Er hat gestanden, sich während der Aufführung mit Annette
Nierzwa getroffen zu haben«, sagte ich. »In seinem Zimmer.«
»Aber wozu?«
»Wohl kaum zum Händchenhalten. Im Prinzip spielt das keine
Rolle. Mit dem Mord hat er nichts zu tun, sagt er. Trotzdem wird er von der
Polizei jetzt in die Mangel genommen.«
Sie wollte mehr wissen, ich gab ihr zurückhaltend Auskunft.
Natürlich, in ihrem Kopf ratterte es: Was hieß das für den Förderverein? War
das der Zeitpunkt, um sich von Nagel zu distanzieren? Wer konnte seine Stelle
einnehmen? Oder war ein klares Bekenntnis zu dem Geschäftsführer die richtige
Strategie? Nebenher vergoss Frau von Wonnegut ein paar Krokodilstränen, beklagte
die oft rüden Methoden der Kriminalbeamten, die Vorverurteilungen durch die
Gesellschaft, aber es waren bloß Worthülsen, die in der Stille des Friedhofs
fielen, und ich gab keinen Pfifferling auf sie.
Frau Stein anscheinend auch nicht. Sie hatte sich ächzend
erhoben, ein Taschentuch gezückt, und mitten hinein in eine blütenschöne
Formulierung ihrer Hausherrin schnaubte sie so gewaltig, dass Frau von Wonnegut
den gesamten Satz wiederholen musste. Mit ärgerlich zusammengezogenen Brauen.
Zeit für das nächste Häppchen!
»Das ist nicht alles«, sagte ich. »Heute Morgen wurde Enoch
Barth-Hufelang tot in seiner Wohnung aufgefunden. Erschlagen. Von wem, weiß man
nicht.«
Nun war sie wirklich erschüttert. Ihre Lippen begannen zu
zittern, ihre Hände klammerten sich fest um den Stock. Hilflos sah sie zu Frau
Stein hinüber, die außer Neugier keine Reaktion zeigte.
»Das ist nicht wahr«, flüsterte Frau von Wonnegut. »Sagen
Sie, dass das nicht wahr ist.«
»Es tut mir leid.«
Frau Stein drehte sich schweigend um und widmete sich wieder
den Blümchen rund um das Grab. Um ihre grauen Hosen zu schonen, kniete sie auf
einer Art Fußabtreter. Das Bild von vorhin kam mir in den Sinn: Wenn die Toten
dieses Friedhofs ins Jenseits geschippert würden, wäre Frau Stein der ideale
Bootsführer. Niemals lächelnd, stets gleichmütig, der Fährmann zur anderen
Seite.
»Wer soll denn einen Barth-Hufelang erschlagen wollen?«,
fragte Frau von Wonnegut, immer noch flüsternd. »Erst die Nierzwa und nun er!«
»Das kann man im Moment nicht sagen. Es ist nicht einmal
100-prozentig sicher, dass die beiden Morde vom selben Täter verübt wurden.
Sollte sich aber herausstellen, dass Barth-Hufelang erst gegen Abend ermordet
wurde, ist Bernd Nagel fein raus: Da war er bereits in Haft.«
Sie nickte stumm. Was diese Frau wirklich von dem Dirigenten
gehalten hatte, blieb ihr Geheimnis. Vermutlich war er für sie eine Art
Instrument, ein begabter Musiker, der ihren Traum von der Götterdämmerung in Heidelberg zu
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