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Schlussakt

Schlussakt

Titel: Schlussakt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcus Imbsweiler
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starrte ins Gesicht
eines feisten Blondschopfs.
    »Hallöchen!«, rief Lokalsportler Lothar, über beide Backen
grinsend. »Es geht doch nichts über einen gut gespitzten Bleistift!«

Dieses E-Book wurde von der "Verlagsgruppe Weltbild GmbH" generiert. ©2012

16
    Meine Wut auf Nagel und Fischer war verflogen.
In den Räumen der Neckar-Nachrichten hatte sie sich in Luft aufgelöst,
einfach so. Von Nagel belogen zu werden, traf einen Marc Covet schließlich mehr
als mich. Und dass ein leberkranker Kommissar versuchte, seine Spielchen mit
mir zu treiben – geschenkt. Kein Grund, sich länger als notwendig darüber
aufzuregen.
    Und doch war meine Stimmung auf dem Tiefpunkt, als ich wieder
ins Freie trat. Ich zurrte den Schal fest um meinen Hals, zog die Mütze über
die Ohren und vergrub die Hände in den Jackentaschen. Sollten sie mir alle den
Buckel runterrutschen. Freunde, Kommissare, Auftraggeber, einfach alle! Meine
Laune passte zur Jahreszeit, ich hatte keine Lust auf gar nichts, am besten
schaltete jemand das Licht aus. Vielleicht war Fischers Miesepetrigkeit
ansteckend.
    Auf der Hauptstraße immer noch die Horden von Einkäufern, die
Popmusik aus den Ladeneingängen, der Geruch von Bratwurst. Kam mir jemand zu
nahe, hatte ich Lust, ihn anzurempeln. Vor den Massen flüchtend, bog ich in
eine der abschüssigen Altstadtgassen ein, die zum Neckar führten. Ich
überquerte die Uferstraße und setzte mich, Gesicht zum Fluss, auf die hüfthohe
Betonmauer. Vorm Kaufhof lag ein Einbeiniger auf der Erde, da konnte ich es
genauso gut ein Weilchen auf dieser bescheuerten Mauer aushalten.
    Ein unansehnlicher Privatflic auf einer hässlichen Mauer, was
für ein schönes Gespann. Bernd Nagel saß in Untersuchungshaft, sah aber
bestimmt wie aus dem Ei gepellt aus. Greiner und Sorgwitz hatten schicke
Freundinnen um die 20, für Kommissar Fischer kochte eine treusorgende Hausfrau,
Marc Covet war der Held der Neckar-Nachrichten . Selbst der blonde Lothar
bandelte zwischen zwei Überschriften mit einer Volontärin an. Nur Max Koller
war Single und Versager. Beides zusammen ging nicht. Als Versager brauchte man
jemanden, der einem den Nacken kraulte und gut zuredete. Und wenn man Single
war, brauchte man Erfolge. Ich hatte nichts von beidem. Die alte Wonnegut
erwartete Ergebnisse von mir, und was bekam sie? Einen toten Dirigenten. Ich
hätte sie warnen sollen: Frau von Wonnegut, ersparen Sie mir und sich diesen
Auftrag, einen Max Koller kann man höchstens auf untreue Ehefrauen über 50
ansetzen, aber auch nur, wenn die Beschattung per Rad auszuführen und der
Liebhaber nicht Mitglied des Rotary-Clubs ist. Ich habe nämlich keine
vorzeigbare Krawatte. Ich habe überhaupt nichts Vorzeigbares außer einem
gescheiten Rennrad. Keine Lizenz, keinen Nachwuchs, keine Affäre mit einer
gelangweilten Industriellengattin, nichts. Meine Freunde sind Kindergärtner
oder trinken, ich hänge in Absteigen wie dem Englischen Jäger herum und
erinnere mich morgens mit Mühe daran, zu welcher Partei unsere Bundeskanzlerin
gehört. Ich kaufe keine Aktien, höre keine Sinfonien, nicht einmal Nullte. Ich
bin ein Nichts. Eine leere Klammer der Weltgeschichte, das weiße Rauschen in
der Glotze, das Pausenzeichen beim Telefonieren. Pantoffeltierchen haben mehr
Daseinsberechtigung als ich. Kein Wunder, dass Typen vom Schlage Bernd Nagels
denken, sie seien mir gegenüber keine Rechenschaft schuldig. Warum sollten sie
mich in ihr kompliziertes Seelen- und Liebesleben einweihen, wo meine
Sensibilität gerade dafür reicht, heißen Kaffee von kaltem zu unterscheiden?
    Alles klar, Max Koller? Genug gejammert?
    Ja, vielleicht. Ich fühlte mich etwas besser. Einen heißen
Kaffee hätte ich gut gebrauchen können, bevor ich mich hier erkältete. Über den
Dächern hing ein fleckig grauer Himmel, Bettlaken voller Schnee, die nur darauf
warteten, ausgeschüttelt zu werden. In meinem Rücken quietschte ein Keilriemen.
Abgaswolken tanzten in der Luft, ein Bus mit Japanern kam angekrochen, hielt
an, kroch weiter.
    Auch der Neckar schimmerte mattgrau, ein stumpfer Block von
Kälte, der langsam Richtung Rheinebene dampfte. Ein einsamer Ruderer ritzte
Linien in die Flusshaut, ließ den Oberkörper vor- und zurückpendeln. Ich
stellte mir vor, wie er die Toten der Stadt ins Jenseits schipperte, wie sie
vom Schlingern des Bootes in den großen Schlaf gewiegt würden, Zug für Zug,
Schlag für Schlag. Schwankend

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