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Schlussakt

Schlussakt

Titel: Schlussakt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcus Imbsweiler
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schlichter Holzstuhl, und nach einer halben Stunde
kannte mein Po jeden Quadratzentimeter der Sitzfläche. Ich vertrieb mir die
Zeit mit Spielereien am Handy. Schickte eine Probe-SMS an Marc, was auf Anhieb
klappte. Wählte zur Abwechslung Wolls Nummer, und zur Abwechslung ging keiner
dran. So allmählich machte ich mir Sorgen um den Kerl. Hatte er etwas mit den
Morden zu tun und war getürmt? Oder stand er selbst auf der Abschussliste?
    Auch um mein Handy machte ich mir Sorgen. Da gab es ein
Symbol auf dem Display, das ich noch nie bemerkt hatte. Zumindest konnte ich
mich nicht daran erinnern. Es sah aus wie eine Batterie, allerdings nicht wie
eine volle.
    Gleich darauf gab das Gerät einen Summton von sich: Marc rief
zurück. Er wollte wissen, wie oft ich ihm gesimst hatte, bis es klappte, ich
sagte ihm, er könne mich kreuzweise und überhaupt. Leider wirkte unsere
Kabbelei nach der gestrigen Meinungsverschiedenheit ein wenig angestrengt.
Anschließend jammerte er über seinen Arbeitgeber, behauptete, er schäme sich
für das, was die Neckar-Nachrichten am heutigen Mittwoch in die Welt
hinausposaunten, wurde aber von einem schrillen Warnsignal meines Handys
unterbrochen.
    »Hörst du das auch?«, fragte ich.
    »Klar. Kein Empfang oder kein Saft mehr.« Wieder der Warnton.
    »Der Empfang ist einwandfrei«, sagte ich. Im nächsten Moment
war die Verbindung unterbrochen, die Anzeige auf dem Display erlosch. Nicht
einmal das Batteriesymbol war noch zu sehen. Und mein Ladegerät? Flog irgendwo
zu Hause zwischen der Dreckwäsche herum.
    Blöde Technik! Ich steckte das Handy weg und griff nach der
aktuellen Ausgabe der Neckar-Nachrichten , die zwischen Zeitschriften und
Kulturmagazinen auf einem Tisch lag. »Eine Stadt in Angst« lautete die
Headline. Für sie hatten die Setzer ihre größten Lettern vom Dachboden geholt
und die Redakteure Hollywood-Vokabular aus dem Keller. Es war Mittwoch, wie
gesagt, Enoch Barth-Hufelang das Opfer, der Unbescholtene, der Jünger der
Musik. Von Heftchen unter dem Bett noch keine Rede. Allenthalben durfte man
sich erschüttert geben, Betroffenheit aus jeder Zeile schwitzen. Schreibend
bildete man eine Wagenburg um den Leichnam des Ermordeten: Hände weg von
unserer Kultur! Es tat gut, diese Zeilen zu lesen, tat gut, sich geborgen zu
wissen. Man hatte einen Großen verloren, aber man war nicht allein. Auf Seite
eins schwenkte Barth-Hufelang zum letzten Mal den Taktstock, weiter hinten
wurden die Stationen eines glorreichen Musikerlebens in Wort und Bild
abgehandelt. Dazu gab es Kommentare, Stellungnahmen, ein Interview mit dem Oberbürgermeister
und eine Blitzumfrage auf der Hauptstraße. Tenor: So darf das nicht
weitergehen. Eine junge Frau sagte, sie verstünde nichts von Musik, aber
Barth-Hufelang sei ein voll krasser Dirigent gewesen.
    Wo der Heilige ist, darf der Teufel nicht fehlen. In
Ermangelung eines überführten Täters stürzte sich die Presse auf den bislang
einzigen Verdächtigen: Bernd Nagel. Hatte er nicht eine Affäre mit der
Garderobiere gehabt? War sein Verhältnis zum GMD nicht bisweilen getrübt
gewesen? Ja, vielleicht war es das, und aus einem bedeutungsvollen Vielleicht
ließen sich Spekulationen, Mutmaßungen, Theorien ableiten, so viel die
Druckerschwärze hergab. Im Prinzip konnte Nagel von Glück sagen, dass man die
zweite Leiche noch rechtzeitig entdeckt hatte. Denn so wurde die
Berichterstattung über ihn auf eine der hinteren Zeitungsseiten verdrängt. An
der Sache selbst änderte das nichts: Man begann sich auf Nagel einzuschießen.
Zu diesem Zweck hatten die Neckar-Nachrichten ein älteres Foto des
Geschäftsführers abgedruckt, auf dem er mit seinem dünnen Schnurrbart und dem
zurückgegelten Haar regelrecht zwielichtig wirkte. Nagel würde vor Scham im
Zellenboden versinken, wenn er ein Exemplar der Zeitung zu Gesicht bekäme, so
viel stand fest.
    Im Sekretariat des Intendanten brodelte die Kaffeemaschine.
Ich sah die Frau ein Tablett mit Keksen und Salzstangen in den
stimmendurchwirkten Nebenraum bringen. Ein feiner Kriegsrat war mir das! Als
die Sekretärin zurückkam, stand ich vor ihrem Schreibtisch.
    »Dauert das noch lange da drin?«, fragte ich.
    »Unser GMD ist ermordet worden!«, gab sie pikiert zurück.
    »Und warum dann die Salzstangen?«
    »Weil die Brezeln aus sind.«
    Ich zögerte. Meinte sie diese Antwort ironisch? Die Frau sah
nicht so aus, als gehörte Ironie zu ihrer Ausbildung. Besser

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