Schlussblende
woanders. »Gewöhnlich vermeidet Micky vor der Sendung jeden Kontakt mit Studiogästen, um ihnen unbefangen gegenüberzutreten. Aber in diesem Fall … nun, sie fühlt sich irgendwie, wenn auch nur marginal, mit Ihrem tragischen Verlust verbunden. Deshalb möchte sie vor der Sendung noch ein paar Worte mit Ihnen wechseln.«
»Wird mir ein Vergnügen sein.« Tony fand, daß er das glaubhaft rübergebracht hatte.
»Gut. Sie wird in ein paar Minuten herkommen. Darf ich Ihnen irgendwas bringen lassen? Kaffee? Mineralwasser?«
»Kommt der Kaffee aus der Maschine?«
Diesmal sah das Lächeln echt aus. »Ich fürchte, ja. Kaum von Tee, heißer Schokolade oder Hühnersuppe zu unterscheiden.«
»Dann verzichte ich lieber.«
Betsy nickte und zog die Tür hinter sich zu. Tony verspürte ein leichtes Magengrimmen. Das war bei öffentlichen Auftritten immer so. Aber heute ging es zusätzlich darum, das Gespräch vor laufender Kamera so zu lenken, daß er eine Bemerkung einflechten konnte, die Vance beunruhigte und möglichst dazu veranlaßte, einen Fehler zu begehen. Sozusagen der erste Pfeil, den er auf ihn abschießen wollte. Aber Tony machte sich nichts vor, es war ein gewagtes Unterfangen, insbesondere in der Fernsehsendung von Vance’ Frau.
Er räusperte sich nervös und musterte sich noch mal kritisch im Spiegel, als hinter ihm die Tür aufging und Micky Morgan erschien. Er drehte sich um und streckte ihr die Hand hin. »Hallo, Ms. Morgan.«
»Dr. Hill. Danke, daß Sie zu meiner Sendung gekommen sind.« Ihr Händedruck war kühl und fest.
»Sehr gern. Es gibt so viele Mißverständnisse über die Aufgaben von Profilern, daß man jede Gelegenheit nutzen sollte, ein wenig Aufklärungsarbeit zu leisten. Zumal wir gerade wieder mal negative Schlagzeilen gemacht haben.« Tony hoffte, daß die Art, wie er kurz den Blick senkte, Micky zu verstehen gab, worauf er anspielte.
»Ja. Es hat mir aufrichtig leid getan, von der Sache mit Detective Constable Bowman zu hören. Ich habe sie nur kurz kennengelernt, aber sie hat auf mich einen sehr energischen Eindruck gemacht. Eine Frau, die weiß, was sie will. Und überdies eine sehr schöne Frau.«
Tony nickte. »Sie wird uns fehlen. Eine unserer besten jungen Officer.«
»Das kann ich mir vorstellen. Es muß gerade für Police Officer schrecklich sein, eine Kollegin zu verlieren.«
»Ja. Man hat das Gefühl, irgendwie mitschuldig zu sein, seine Pflicht nicht so erfüllt zu haben, wie es nötig gewesen wäre, um diesen Mord zu verhindern. Ich kann mich jedenfalls von einem gewissen Schuldgefühl nicht freisprechen.«
»Ich bin sicher, das hätte niemand verhindern können, selbst Sie nicht.« Sie legte ihm mitfühlend die Hand auf den Arm. »Als ich meinem Mann gesagt habe, daß Sie zu mir in die Sendung kommen, hat er ganz spontan ähnliche Schuldgefühle geäußert. Dabei hätte er noch weniger Grund dazu als Sie.«
»Überhaupt keinen«, sagte Tony und wunderte sich selbst, wie überzeugt er das herausbrachte. »Obwohl wir inzwischen glauben, daß Shaz’ Mörder den ersten Kontakt mit ihr hier in London und nicht erst in Leeds aufgenommen hat. Es wäre gut, wenn ich, Ihr Einverständnis vorausgesetzt, in der Sendung an mögliche Zeugen appellieren dürfte, sich bei uns zu melden.«
Micky griff sich mit einer erschrockenen, seltsam verletzbar wirkenden Geste an die Kehle. »Sie glauben doch nicht, daß der Mörder ihr vor unserem Haus aufgelauert hat, oder doch?«
»Zu dieser Annahme gibt es keinen Grund«, sagte er rasch.
»Nein?«
»Nein.«
»Ich bin froh, daß Sie das sagen.« Sie atmete tief durch und strich sich das blonde Haar aus dem Gesicht. »Gut, dann sollten wir nun zum Verlauf unseres Gesprächs kommen. Ich werde Sie zuerst fragen, warum Ihre Gruppe eingerichtet wurde, wem sie unterstellt ist und bei welcher Art von Verbrechen Sie nach Beendigung der Ausbildungsphase an der Aufklärung mitwirken werden. Und dann werde ich auf Sharon zu sprechen kommen und …«
»Shaz«, unterbrach Tony. »Nennen Sie sie Shaz. Sie mochte es nicht, wenn man sie Sharon genannt hat.«
Micky nickte. »Shaz. Ich werde also auf sie zu sprechen kommen, und das wäre dann die Gelegenheit, daß Sie diesen dringenden Appell an potentielle Zeugen richten, einverstanden? Gibt’s sonst noch irgend etwas Besonderes, was Sie zur Sprache bringen wollen?«
»Ich glaube, ich werde den Appell an Ihr Publikum gut rüberbringen«, erwiderte er ausweichend. Er hätte gern ein paar
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