Schlussblende
Kumpel. Ich hab ’ne Verabredung mit einem Tennismatch im Dog and Gun. Wenn Sie fertig sind, ehe ich zurückkomme, ziehen Sie einfach die Tür hinter sich zu.«
Als Mike McGowan kurz vor Mitternacht zurückkam, quälte Leon sich immer noch durch die Zeitungsausschnitte. McGowan versorgte ihn mit einem Becher Instantkaffee und meinte: »Ich hoffe, die bezahlen Ihnen Überstunden, Kumpel.«
»Ist mehr ’ne Gefälligkeitsarbeit«, murmelte Leon.
»Ihnen oder Ihrem Boß zuliebe?«
Leon überlegte einen Moment. »Einem Mädchen aus unserem Team zuliebe. So was wie eine Ehrenschuld.«
»Dafür lohnt sich’s immer. Ich laß Sie jetzt allein. Versuchen Sie, die Tür nicht so laut zuzuknallen, wenn Sie gehen.«
Leon hörte im Nebenzimmer die Begleitgeräusche, die zur Vorbereitung auf die Nachtruhe gehören, das Rauschen der Toilette, knarrende Dielenbretter, schließlich das Ächzen einer Matratze. Dann Stille, bis auf das Rascheln vergilbter Zeitungsseiten.
Es war fast zwei, als er auf etwas stieß, was möglicherweise genau das war, was er suchte. Ein kleiner Zeitungsausschnitt, eine eher nebensächliche Notiz, aber vielleicht ein Anfang. Jedenfalls pfiff Leon Jackson, als er McGowans Apartmenttür hinter sich zugezogen hatte und hinaus auf die nachtdunkle Straße trat, zufrieden vor sich hin.
Tony hatte selten so aufrichtig wirkende Augen gesehen. Micky spießte mit der Gabel den letzten Happen geräucherte Ente auf, zögerte einen Augenblick und sagte: »Aber es muß Ihnen doch zu schaffen machen, wenn Sie soviel Zeit und Energie dafür aufwenden, sich in diese verdrehte Logik hineinzudenken?«
Tony nahm sich mehr Zeit, als unbedingt nötig gewesen wäre, um das Stück Polenta zu Ende zu kauen. »Man lernt schnell, eine Mauer um sich aufzubauen«, sagte er schließlich. »Sie wissen etwas und wissen es doch nicht. Spüren es – und spüren’s nicht. Ich denke mir, Journalisten wird es ähnlich gehen. Wie schlafen Sie denn, wenn Sie vorher über so was wie das Dunblane-Massaker oder den Flugzeugabsturz von Lockerbie berichtet haben?«
»Ja, aber das ist etwas, das draußen geschieht. Und Sie müssen die Ereignisse in sich nachvollziehen, wenn Sie Erfolg haben wollen.«
»Ganz so weit draußen ist es auch für Sie nicht immer. Nachdem Sie Jacko kennengelernt hatten, mußten Sie eine Trennungslinie zwischen der Story und Ihrem Leben ziehen. Zwischen dem, worüber Sie im Fernsehen berichten wollten, und dem Wissen, das nur Sie persönlich etwas anging. Und als Jackos Ex-Verlobte der Klatschpresse ihre Enthüllungen verkauft hat, war das für Sie sicher keine Story wie tausend andere. Hatte das keinen Einfluß darauf, wie Sie über Nachrichten aus aller Welt berichten?«
Micky warf das Haar zurück. Er merkte ihr an, daß sie Jillie Woodrow auch nach zwölf Jahren noch verachtete. »Dieses Biest«, murmelte sie. »Jacko hat mir gesagt, das meiste sei frei erfunden, und ich glaube ihm das. Es ist mir also nicht wirklich unter die Haut gegangen.«
Der Ober kam, um die leeren Teller abzutragen. Als sie wieder allein waren, wiederholte Tony seine Frage.
»Sie sind der Psychologe«, wehrte sie ab, zog ein Päckchen Zigaretten aus der Tasche, zögerte und fragte: »Stört es Sie?«
Tony schüttelte den Kopf. »Ist mir noch nie aufgefallen, daß Sie rauchen.«
»Nur nach dem Essen. Höchstens fünf am Tag.« Und dann sagte sie mit spöttisch herabgezogenen Mundwinkeln: »Man muß den Irrsinn unter Kontrolle halten, dann ist es keiner.«
Tony zuckte zusammen. Mit fast denselben Worten hatte er das irgendwann bei einem Vortrag über einen von Zwangsvorstellungen beherrschten Mörder formuliert, dessen Wahnsinn ihn beinahe das Leben gekostet hätte.
»Sie sehen aus, als wäre Ihnen ein Gespenst über den Weg gelaufen«, sagte Micky verwundert.
»Nur eine flüchtige Erinnerung. In meinem Kopf sind so viele bizarre Erinnerungen gespeichert, daß mir das gelegentlich passiert.«
»Das glaube ich Ihnen.« Sie nahm einen tiefen Zug an ihrer Zigarette. »Wissen Sie, was ich mich schon lange frage? Woher wissen Sie, daß Sie mit einem Täterprofil ins Schwarze getroffen haben?«
Er sah sie abschätzend an. Jetzt oder nie, dachte er. »Nun, es ist im Prinzip dieselbe Methode, mit der jeder von uns andere Menschen beurteilt. Eine Mischung aus Wissen und Erfahrung, dazu das Geschick, die richtigen Fragen zu stellen.«
»Welche, zum Beispiel?«
Sie sah ihn so arglos an, daß er sich fast ein wenig schäbig vorkam.
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