Schlussblende
und zwischen eins sechzig und eins siebzig groß. Alle hatten zu Hause gewohnt, zusammen mit beiden Eltern oder einem Elternteil. Sowohl Eltern und Geschwister wie auch Freunde hatten bei der Polizei ausgesagt, sie könnten sich das Verschwinden der Mädchen nicht erklären, sie hätten absolut keinen Grund gehabt, von zu Hause wegzulaufen. Keine hatte Reisegepäck dabeigehabt, was dafür gesprochen hätte, daß sie lange wegbleiben wollten. Offenbar hatten aber alle eine Wechselgarnitur Unterwäsche mitgenommen – der Hauptgrund dafür, daß die Polizei ein Verbrechen, Entführung oder Mord, mit hoher Wahrscheinlichkeit ausschloß. Für diese Annahme sprach auch der Zeitpunkt des Verschwindens. Die Mädchen hatten morgens die gewohnten Vorbereitungen für die Schule getroffen, waren aber nicht dort angekommen. Alle Ausreden, mit denen sie ihre Eltern darauf vorbereitet hatten, daß sie möglicherweise an diesem Tag etwas später heimkämen, erwiesen sich nachträglich als frei erfunden.
Und da war noch etwas, was Shaz allerdings nicht der Computeranalyse entnehmen konnte, es war ihr beim Studium der Fotos aufgefallen: alle sieben Mädchen entsprachen ungefähr demselben Typ. Ihre Augen strahlten eine kokettierende Sinnlichkeit aus. Shaz las aus der Art, wie sie mit ihren Blicken förmlich in die Kamera krochen, daß die Jahre kindlicher Unschuld hinter ihnen lagen. Ob es ihnen bewußt war oder nicht, sie waren sexy.
Nun zu den negativen Übereinstimmungen. Keine der sieben war je unter die Aufsicht der Fürsorge gestellt worden. Sie hatten auch nie Schwierigkeiten mit der Polizei gehabt. Wie die Freundinnen der Mädchen einräumten, hatten sie hin und wieder abends Alkohol getrunken und vielleicht mal einen Joint geraucht oder eine Prise Speed geschnupft. Aber von regelmäßigem Drogenkonsum konnte keine Rede sein. In keinem der sieben Fälle gab es Anhaltspunkte dafür, daß die Mädchen sich Männern für Geld angeboten hätten oder Opfer sexuellen Mißbrauchs gewesen wären.
Natürlich gab es auch Dinge, die nicht in das erhoffte Bild auffallender Übereinstimmungen paßten. Drei aus der Gruppe hatten einen festen Freund, vier nicht. Der Versuch einer geographischen Zuordnung erwies sich als schwierig. Die Fälle verteilten sich sozusagen quer über die Landkarte – Sunderland war der nördlichste, Exmouth der südlichste Punkt. Dazwischen lagen Swindon, Grantham, Tamworth, Wigan und Halifax. Die Vermißtenanzeigen waren im Laufe eines Zeitraums von sechs Jahren eingegangen. Die Zeitabstände zwischen dem Verschwinden der Mädchen waren nicht konstant, sie wurden auch nicht im Laufe der Jahre zunehmend kleiner, wie Shaz das erwartet hätte, wenn die Mädchen wirklich die Opfer eines Serienmörders geworden wären.
Andererseits, vielleicht gab es Mädchen, von denen sie noch nichts wußte.
Als Shaz am Sonntag morgen aufwachte, versuchte sie zuerst, sich wieder zum Einschlafen zu zwingen. Doch daraus konnte nichts werden, solange in ihrem Kopf beharrlich das Wissen rotierte, daß es nur eine Möglichkeit gab, bei ihrer Arbeit Fortschritte zu machen und ihre These von einer Gruppe aus sieben möglichen Mordopfern zu untermauern. Und weil sie dazu auf fremde Hilfe angewiesen war, mußte sie sich wohl oder übel mit Geduld wappnen. Als sie gegen Mitternacht ins Bett gegangen war, hatte sie sich vorgenommen, Sonntag mittag, etwa zur Lunchzeit, zum Telefon zu greifen. Als sie aber um Viertel vor sieben immer noch wach im Bett lag und ihre Gedanken unablässig um das immer gleiche Problem kreisten, wußte sie, daß sie es bestimmt nicht so lange aushielt.
Zu wissen, daß sie ohne fremde Hilfe, nur auf ihre Computeranalyse gestützt, nicht weiterkam, machte sie derart kribbelig, daß sie schließlich energisch die Bettdecke wegstieß. Eine halbe Stunde später war sie bereits auf der Zufahrt zur M 1 und drückte das Gaspedal durch.
Der Kampf mit der Dusche, das Anziehen und die Rundfunknachrichten, während sie ihren Kaffee trank, hatten sie vorübergehend ein wenig abgelenkt, aber als sich jetzt das leere, dreispurige Band der M 1 vor ihr erstreckte, gab es nichts mehr, was sie vom Grübeln abhalten konnte. Ungehalten schob sie eine Kassette mit Opernarien ins Stereofach des Autoradios, gab aber bald darauf den Versuch auf, sich selbst weiszumachen, sie konzentriere sich auf die Musik. In den folgenden zweieinhalb Stunden war sie dem Kreislauf ihrer Gedanken ähnlich wehrlos ausgeliefert wie an einem
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