Schmeckts noch
der weißen Bäckermütze mit einem Brotschieber hantiert – vom Backen hat er meist keine Ahnung. Tiefgekühlt werden die Teiglinge angeliefert, die ohne moderne Amylasen nicht so perfekt im öffentlichen Ofen aufgehen würden. Mitte der neunziger Jahre wurden knapp 15 000 Tonnen tiefgekühlte Teiglinge im Jahr verbacken, heute sind es bereits über 100 000 Tonnen, Tendenz immer noch steigend. Parallel zu den Show-Backeinlagen, die ungeschulte Hilfskräfte problemlos bewältigen, stirbt die solide Handwerkskunst einen lautlosen Tod. Immer mehr Filialisten übernehmen das Feld. Heute existieren noch etwa 17 000 »echte« Bäckereien. Experten vermuten, dass sich ihre Zahl schon in ein paar Jahren halbiert haben wird.
Dabei ist Deutschland Brotland. Weit über 200 Sorten sind im Angebot, all die vielen regionalen Spezialitäten nicht mitgerechnet. Während in Norddeutschland längliche Brote mit einem hohen Roggenanteil gegessen werden, bevorzugt man im Süden helleres Weizenbrot oder sogenanntes Schwarzbrot, das trotz seines Namens eher dem norddeutschen »Graubrot« entspricht, zu runden Laiben geformt ist und als Schwaben- oder Frankenlaib den Geschmack der jeweiligen Region trifft. Im Osten werden saftig-deftige Roggenbrote bevorzugt. Schwarzwälder Brot ist ein rustikales Weizenmischbrot mit kräftiger Kruste und großporiger Krume, während Korbbrote oder Kasseler helle Roggenmischbrote sind, die eine dünne, helle Kruste haben und eine feinporige Krume. Beim Brotkauf hat man die Qual der Wahl, denn neben Weizen und Roggen verarbeiten die Bäckermeister auch Dinkel und zahlreiche Nicht-Brotgetreidearten wie Hafer, Gerste, Reis und Hirse sowie Ölsaaten wie Leinsamen und Nüsse. Hinzu kommen Phantasienamen wie Bergsteigerbrot, Feierabend- oder Olympiabrot, mit denen der Kunde zum Kauf animiert werden soll.
Generell lassen sich all diese wohlklingenden Brotsorten fünf Kategorien zuteilen:
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Weizenbrot/Weißbrot
besteht aus einem Weizenanteil von mindestens 90 Prozent.
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Weizenmischbrot
hat über 50 Prozent Weizenanteil.
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Roggenmischbrot
enthält mehr als 50 Prozent Roggenmehl.
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Roggenbrot
besteht zu mindestens 90 Prozent aus Roggenmehl.
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Spezialbrote
können aus anderen Getreidearten wie Dinkel gebacken sein, pflanzliche oder tierische Zutaten wie Sonnenblumenkerne oder Milch enthalten oder mit einem besonderen Backverfahren hergestellt sein wie bei Knäckebrot oder Pumpernickel, das durch Rübenkraut oder Melasse und eine extrem lange Backzeit so schwarz geworden ist.
Statistisch gesehen isst jeder Deutsche mindestens drei Scheiben Brot, ein Brötchen und ein Croissant am Tag, die sich zu einem Pro-Kopf-Verbrauch von knapp 87 Kilogramm im Jahr addieren. Nirgendwo sonst in Europa wird so viel Brot gegessen. »Ein Leben ohne Brot ist für mich nicht vorstellbar«, haben 84 Prozent der Verbraucher angegeben, die von der CMA (Centrale Marketing-Gesellschaft der deutschen Agrarwirtschaft) für eine Studie zum Thema Brot befragt wurden. Fragt man Reisende, was sie im Ausland am meisten vermisst haben, kommt prompt die Antwort: »Deutsches Brot!« Allein über die Farbe von Brot werden hierzulande Glaubenskriege geführt, während kein Amerikaner für ein paar Körnchen mehr auch nur einen Cent ausgeben würde.
Doch es gibt nicht nur klägliches Brot zu kaufen. Biobäcker verarbeiten Getreide, das ohne Pestizide auf Ökohöfen gewachsen ist; für sie ist das Reinheitsgebot ein ungeschriebenes Gesetz. Und immer wieder besinnen sich verantwortliche Handwerksmeister auf die Kunst des Brotbackens. Ein kleiner, aber feiner Kundenkreis legt Wert auf gute Brotqualität und ist auch bereit, dafür mehr als das Doppelte des Preises für Fabrikbrot zu zahlen. Wer sein Handwerk beherrscht, braucht keine Hilfsmittel aus dem Labor. Die Brote der Meister sind so begehrt, dass manche sie sogarper Post an Kunden überall im Land verschicken. Besonders begehrt sind Holzofen- und Steinofenbrot, denn die Art der Öfen spielt bei der Bildung von Geschmacks- und Aromastoffen durchaus eine Rolle. In jedem Ofen herrschen übrigens ganz bestimmte Bedingungen und feinste Temperaturunterschiede. Ein guter Bäcker weiß, dass es bei seinem Ofen hinten links in der Ecke immer etwas wärmer ist als vorne rechts oder umgekehrt. Während Tütenbäcker länger schlafen, steht der echte Meister nach wie vor früh auf und geht in die Backstube.
Aufs Korn gekommen
Der Trend geht hin zu Vollkornbrot.
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