Schmerz - Piccirilli, T: Schmerz - The Midnight Road
Ellbogen aufgerissen, der Arm darunter rot. Dosen und andere Lebensmittel lagen zwischen ihr und dem offenen Gefrierschrank verteilt.
Er hatte sich auf sie gestürzt, bevor sie die Sachen hatte einräumen können. Er hatte sie geschlagen, und sie hatte sich gewehrt. In ihr war noch Leben. Er hatte sie am Arm gepackt. Sie hatte sich losgerissen und war immerhin drei Schritte weit gekommen. Er hatte ausgeholt und mit einem tiefgefrorenen Rumpsteak auf ihren Hinterkopf eingeschlagen.
Emma blutete aus dem Mund. Desinteressiert und ohne jede Spur von Überraschung schaute sie zu ihm hoch. Sie sah genauso aus wie damals Patricia, als sie mit blutigen Lippen im Wagen saß. Die kleine Welle von vor dreißig Jahren erreichte sie endlich mit voller Wucht.
Der Kerl hatte seine muskulösen Arme erhoben und brüllte: »Wer zum Teufel sind Sie? Was machen Sie in meinem Haus?«
Als Flynn nicht reagierte, hielt er inne. Er war es gewohnt, dass Emma vor ihm weglief, also rechnete er damit, dass jeder es tat. Er hatte keine Ahnung, wie man jemanden mit Blicken bezwang, alles, was er konnte, war mit Sachen zu werfen. Flynn wollte lächeln, aber es gelang ihm nicht. Die eiskalte Luft aus dem Gefrierschrank blies ihm in den Rücken.
Er sah den Jungen an. Es war offensichtlich, was Emma mal an ihm gefunden hatte. Seine breiten Schultern, das Feuer, der Hauch von Schmerz in seinen
Augen. Er besaß keinen tiefen Intellekt, folgte eher seinen Instinkten und ließ sich von einem Augenblick zum nächsten treiben. Er war schlank und durchtrainiert, genau wie Frauen es gern hatten, und das lange glänzende Haar umgab sein dumpfes Gesicht wie eine Mähne. Ein echter Wildfang. Er war sehr viel jünger als Flynn und Emma, vielleicht fünfundzwanzig.
Sein attraktives Äußeres regte Flynn auf. So gut wie alles an ihm regte ihn auf.
Gegensätze zogen sich eben an, dachte er. Emma suchte nach etwas, das sie nicht war. Sie hoffte, jemanden zu finden, der ihre Fassade knackte, ihre Schale abstreifte.
Hinter diesem Penner standen all die Männer, die genau wie er waren, die dieselben Fehler begangen und mit ihrer Wut, ihrer Ignoranz und ihrer Schwäche alles nur noch schlimmer gemacht hatten. Flynn hatte solche Typen schon tausendmal erlebt.
Wieder das höhnische Grinsen. Er konnte nichts dagegen tun, es kam von ganz allein.
Er baute sich vor Flynn auf und sah sich nach einer Stange oder etwas Ähnlichem um. Leicht amüsiert stellte Flynn fest, dass der Junge offenbar keine Ahnung hatte, was er als Nächstes tun sollte. Sollte er kämpfen oder lieber abhauen? Emma würdigte er mit keinem Blick.
»Ich habe gefragt, wer Sie sind.«
»Ich heiße Flynn. Und wer bist du?«
»Raus!«
»Wie heißt du?«
»Ich wohne hier!«
»Das klingt aber nicht so. Es klingt eher so, als wärst du ein Schmarotzer.«
»Was?«
»Als würdest du Emma ausnutzen.«
Flynn ging zu ihr und streckte die Hand nach ihr aus, aber sie ignorierte sie. Sie wischte sich das Blut aus dem Mundwinkel und starrte ihn durch ihr Haar hindurch an. Da stand er nun, zwei Schritte von ihr entfernt, und wusste immer noch nicht, wie sie aussah.
»Ich zahle meinen Anteil!«
»Du nimmst dir aber mehr, als du bezahlst.«
»Was? Raus hier!«
»Das ist nicht allein deine Schuld. Manche Menschen sind komisch, sie tun genau das, was am schlechtesten für sie ist. Daran wird sie arbeiten müssen. Wir beide vielleicht auch.«
»Was?«
»Du hast mich schon verstanden.«
»Sie sind verrückt! Sie haben hier nichts verloren, niemand hat Sie eingeladen! Ich kenne Sie nicht! Ich werde die Bullen rufen!«
»Genau, mach das. Dann sehen wir uns erst mal dein Zigarettenetui an, und danach durchforsten sie die ganze Bude nach dem Rest. Wie heißt du?«
Er schien kurz nachdenken zu müssen. »Ich … Chad.«
»Chad?«
Allein schon der Name regte ihn auf. Er sah das tiefgefrorene Rumpsteak auf dem Boden liegen und stellte sich vor, wie es wäre, jemandem den Schädel damit einzuschlagen. Und dann die Hitchcock-Nummer durchziehen. Die Mordwaffe in den Ofen stecken und sie den Typen von der Mordkommission servieren.
»Chad, verpiss dich.«
»Ich wohne hier!«
»Nicht mehr.«
»Sie können nicht …« Chad fing an, auf der Stelle zu tanzen, die Knie gebeugt, als müsste er pinkeln. »Das können Sie nicht!«
»Du ziehst aus. Geh zu einem deiner Pennerkumpel.«
Manchmal lief man der Stunde der Wahrheit hinterher und manchmal kam sie direkt auf einen zu. Da standen sie nun. Chad musste sich
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