Schmerzlos: Thriller (German Edition)
Anblick ihres lächelnden Gesichts hätte ich ihr am liebsten eine gescheuert. Sie steckte das Handy in ihre Tasche und marschierte zu ihrem Sitz zurück.
Meine Mutter tätschelte mir die Hand. Die Triebwerke wurden auf volle Leistung gebracht, dann schoss das Flugzeug über die Startbahn. Jetzt konnte ich nur noch hoffen, dass die Textnachricht, die ich an Jax und Tim geschickt hatte, auch tatsächlich ankam.
Primacon. Hilfe.
Dem Mutigen hilft das Glück. Das hatte kein Krieger gesagt, sondern ein Dichter aus dem römischen Altertum. Vergil hatte zwar verstanden, wie die Welt funktioniert, aber Joker hatte er nicht gekannt.
Coyote fuhr durch die sich verdichtende Dämmerung und bewertete ihren Einsatz. Sie war mutig gewesen, doch das Schicksal hatte ihr höhnisch lächelnd den Rücken zugekehrt. Valerie Skinner auf ihr eigenes Gesicht zu zeichnen, um Chang und Hankins auf den Highway zu locken, hatte ihr kein Glück bei der Jagd gebracht. Der Einsatz heute war fehlgeschlagen.
Chang und Hankins waren tot, doch es war nicht Coyotes Hand gewesen, die ihnen das Leben genommen hatte. In dem Moment, da Coyote die Granate in Abbies Hand entdeckt hatte, erkannte sie, was Abbie vorhatte. Es war, als hätte sie einen Fluss erreicht, um daraus zu trinken, und müsste zusehen, wie er vor ihren Augen austrocknete. Außerdem waren Delaney und die Kinder nach wie vor unerreichbar für sie.
Allmählich verlor sie wirklich die Geduld. Als die Handgranate explodierte, war ihr Delaney dicht auf den Fersen gewesen, bewaffnet und in Begleitung der Polizei. Später, von ihrem Pick-up aus, hatte Coyote durch das Fernglas zugeschaut, wie Delaney die Rettungsaktion beobachtete, vermutlich, um die Toten zu ehren.
Abbie Hankins hatte Mut besessen, das musste man ihr lassen. Eingeklemmt unter dem Van und unfähig zur Flucht, hatte sie sich zum Kampf entschlossen. Abbie hatte sie töten wollen. Doch die Handgranate hatte eine Verzögerung von vier Sekunden, und als Abbie den Stift herausgezogen hatte, war sie aus dem Stand losgespurtet. Trotzdem. An diesem Tag hatten gleich zwei Frauen ungewöhnlich viel Mut bewiesen. Das war ein Zeichen.
Der Pick-up jagte durch die hereinbrechende Nacht. Der Highway war ein Fluss aus Verkehr, ein wohltuender Willkommensgruß, den Los Angeles ihr entgegenrief.
Coyote bewegte die Schulter. Sie hatte einige Splitter von der Granate abgekommen. Abbies Van, den sie zwischen sich und die Granate gebracht hatte, hatte den größten Teil der Explosion abgefangen, doch sie hatte Blut verloren und ein paar kleinere Fleischwunden. Sie drehte ihren linken Arm. Ihre Bewegungsfreiheit war eingeschränkt, und die Muskelstärke vermindert, um etwa zehn Prozent. Die Beeinträchtigung lag zwar noch innerhalb der Einsatzparameter, bereitete ihr aber trotzdem Sorgen. Außerdem hatte sie sich bei ihrem Sprung aus dem Van die Schulter aufgeschürft. Sie musste die Wunden sauber ausschneiden und sich Antibiotika spritzen. Ihr gebrochenes Schienbein hatte sie notdürftig geschient, aber es musste ruhiggestellt werden. Sie musste zur Basis zurück.
Ihr Handy piepste. Eine Nachricht war eingegangen.
Sie warf einen Blick auf das Display und erkannte ein Foto ihres Amuletts. Jemand hatte es gestohlen. Also wussten sie Bescheid. Sie hatten das Appartement gefunden.
Aber es war nicht im Besitz der Polizei. Wer …
Swayze. Sie erkannte die Telefonnummer wieder. Swayze hatte es gestohlen. Warum?
Sie versuchte das zu verstehen. Swayze gehörte ihr. Swayze hatte ihr alles gegeben. Warum nahm sie ihr dann das Amulett weg?
Es piepste noch einmal. Eine zweite Nachricht war eingegangen. Gut. Jäger und Beute, Alpha und Omega. Die Jagd würde nun doch ein erfolgreiches Ende nehmen. Swayze hatte das Amulett an sich genommen, doch sie war bereit es zurückzugeben, zusammen mit dem, was Coyote haben wollte.
Sie erreichte den höchsten Punkt des Sepulveda-Passes und ließ sich mit dem Fluss aus Verkehr auf der 405 den Hügel hinunterspülen. Die Stadt breitete sich am Fuß der Hügel aus, und Coyote erhaschte einen kurzen Blick auf Westwood. Die Hochhäuser entlang des Wilshire Boulevard erinnerten an Stahlbäume an einem Flussufer. Bald. Sie ließ das Fenster herunter und sog den Geruch von Los Angeles, jenes vertraute metallische Kribbeln, in ihre Nase. Autoabgase und Dollarscheine. Schweiß, Blut, Müll, alles, was sie als Kind gekannt hatte, alles, wovon sie sich mit Swayzes Hilfe hatte befreien können. Jetzt zog es sie
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