Schmerzlos: Thriller (German Edition)
manipuliert Soldaten so, dass sie nicht schlafen müssen und keine Schmerzen empfinden. Unglaublich.«
»Ich glaube, Sie machen es sich zu einfach«, sagte mein Vater.
»Nein. Ich habe einfach die Erfahrung gemacht, dass so was nicht unbedingt ein Fortschritt sein muss.«
»Es klingt vielleicht grausam, wenn man Soldaten weiterkämpfen lässt, obwohl sie verwundet sind«, erwiderte mein Vater. »Aber wenn man achtzig Kilometer vom nächsten Sanitäter entfernt von Granatsplittern erwischt wird und sich dann von seinen Kameraden evakuieren lassen muss, hat das nichts mit Mitgefühl zu tun. Es ist riskant, und es gefährdet den Einsatz. Wenn verwundete Männer sich selbst verteidigen können und damit der Einheit helfen, ist das für alle ein Vorteil.«
»War dieser Impfstoff chemisch? Oder psychologisch? Oder was ganz anderes?«, fragte ich.
»Das haben nur einige wenige gewusst. Wenn ich raten müsste – neurobiologische Verfahren, kognitive Verhaltenspsychologie, Zellregulierung …« Er zuckte mit den Achseln. »Aber egal, um was genau es bei South Star ging, ich vermute, irgendwas ist schiefgegangen. Und zwar ganz fürchterlich.«
Jesses Hand umklammerte das Lenkrad. »Und anstelle eines Übersoldaten hat man einen Serienmörder geschaffen?«
»Oder beides. Was noch viel schlimmer ist.«
Ich beugte mich nach vorn. »Heute Morgen habe ich mit Valerie Skinner gesprochen. Sie sagt, sie hat keinen Krebs. Irgendwas gräbt Tunnel in ihr Gehirn.«
Jesses Schultern verkrampften sich. »Verdammt.«
Mein Vater schien den Verkehr vor sich zu beobachten. Doch die Augen in seinem wettergegerbten Gesicht starrten ins Leere.
»Du siehst nicht gerade überrascht aus«, sagte ich.
»Ich hab überprüft, warum einige deiner ehemaligen Klassenkameraden gestorben sind, und Valerie passt in das Muster.«
»Was auch immer sich durch Valeries Gehirn bohrt, es verursacht neurologische Störungen, stimmt’s?«
Er warf mir einen finsteren Blick zu. »Das, was jetzt kommt, wirst du nicht gern hören.«
Coyote steckte die Schlüsselkarte in die Tür, betrat das Hotelzimmer und blieb stehen. Unter seiner Haut pulsierte die Angst. Er holte sensorische Daten ein: Augen, Ohren, Nase. Der Koffer stand in der Ecke, genau parallel zum Rand des Fensters. Der dünne Draht führte vom Griff des Waffenkoffers zum Fuß des Schreibtischstuhls. Die Schokolade ruhte auf der aufgeschlagenen Seite einer Zeitschrift und bildete damit ein rechtwinkliges Dreieck. Berührt man Schokolade, bleibt der Geruch an den Fingern hängen und verteilt sich im ganzen Raum, wenn man sich bewegt. Doch alles war noch so, wie er es hinterlassen hatte.
Er schloss die Tür und schaltete den Laptop ein. Dann drehte er das Wasser in der Dusche an und zog sich aus. Die Zeit drängte. Seine innere Unruhe spürte er als metallischen Geschmack im Mund.
Der Raum war sicher. Die Mission nicht.
Die Vorstadtmutti war er auf halbem Weg nach Hollywood losgeworden, als er die Perücke und die Kleidung in einen Müllcontainer geworfen hatte. Nachdem er ihre Anima abgeschüttelt hatte, war er endlich wieder er selbst geworden. Doch bevor er zur Basis zurückkehrte, hatte er an einem Internetcafé gehalten, um seine E-Mails und News-Feeds zu lesen. Und dabei hatte er entdeckt, dass mehrere virtuelle Stolperdrähte ausgelöst worden waren.
Im Bad breitete sich Wasserdampf aus. Er stellte sich in die Dusche, und das heiße Wasser spülte den Geruch von Becky O’Keefe fort. Nicht den des verbrannten Fleisches, sondern ihren ganz persönlichen Geruch, den Geruch von Becky O’Keefe, den Gestank nach Korpulenz, nach Milch und feuchtem Fleisch.
Die E-Mail war eine Katastrophe gewesen, der Telefonanruf noch schlimmer. Seine Kontakte hatten ihm Trigger-Wörter genannt.
South Star. Explosion. Inzwischen waren Details seines Projekts durchgesickert – die Backstory, wie man das in Hollywood nannte. Gut, wegen dieser Aasgeier von der Presse hatte seine Mission inzwischen Aufsehen erregt. Doch die Trigger-Wörter hätten nie nach draußen gelangen dürfen.
Jemand wusste zu viel.
Coyote griff nach der Seife und begann zu schrubben. Mikrospuren von seinem Körper zu entfernen, war jetzt äußerst wichtig. Er durfte nicht verhaftet werden, denn das würde das Projekt gefährden. Doch wenn es wirklich dazu kam, spielten Spuren sowieso keine Rolle mehr. Wenn seine Mission scheiterte, würde er sich umbringen und seine Häscher mit sich in den Tod reißen. Er seifte sich die Haare ein.
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