Schmerzlos: Thriller (German Edition)
leise.
Jesse presste die Lippen zu einem schmalen Strich zusammen und fuhr fort, an seiner Jeans herumzuwischen.
Er hatte nicht gehört, wie ein Farbeimer in ein Fenster krachte. Er hatte sich selbst gehört, wie er auf die Windschutzscheibe des Wagens prallte. Und er sah den Sturz in die Schlucht und seinen Freund Isaac, der tot am Boden lag. Er hatte die Augen auf, aber Coyote registrierte er nicht.
»Ich bin einfach ausgeflippt«, sagte er.
»Das ist nicht wahr. Jesse, das PTSD ist schuld. Du hast nicht versagt.«
»Ich hatte ihn gepackt. Wenn ich nicht ausgeflippt wäre, hätte ich ihn vielleicht festhalten können.«
»Nein. Das war Coyote. Du weißt doch, was er mit dem Sicherheitsbeamten gemacht hat. Wenn du ihn nicht losgelassen hättest, wär dir vielleicht das Gleiche passiert.«
»Oder der Sicherheitsbeamte wäre vielleicht noch okay.«
»Nein. So ein Risiko darfst du nicht eingehen.«
»Evan, jetzt hör endlich auf, mich zu bemuttern. Ich bin kein Kind mehr.« Seine Stimme hallte im Atrium wider. Ein paar Leute spähten neugierig herüber.
»So habe ich … Das hast du falsch verstanden«, sagte ich. »Keiner von uns beiden darf so ein Risiko eingehen.«
Er breitete die Arme aus. »Was für ein Risiko? Wovon redest du eigentlich?«
»Ich …«
Ich hob den Kopf. Mein Vater schritt auf uns zu, in der Hand ein schwarzes Poloshirt. Jesse starrte mich an.
»Bitte schön.« Mein Vater drückte Jesse das Poloshirt in die Hand.
»Danke.« Jesse zog es an. Es spannte an den Schultern.
»Kit, was hattest du eigentlich hier unten zu suchen? Was war los?«
»Ich bin den beiden Männern von Primacon gefolgt. Das waren definitiv Agenten.«
Er warf mir einen scharfen Blick zu. »Ich hab gar nicht gewusst, dass du einen Agenten aus zwanzig Schritt Entfernung erkennen kannst.«
»Bei den beiden war das ganz einfach.« Ich beschrieb die Männer. »Welcher Vertreter einer Regierungsbehörde lässt wohl seinen Ausweis in der Tasche und widersteht der Versuchung, andere seine Macht spüren zu lassen? Die waren mit Sicherheit von einem Geheimdienst.«
Er schnaubte. Ich fasste das als Zustimmung auf.
Eine Stimme schallte durchs Atrium. »Miss Delaney.«
Ich wandte mich um. Special Agent Dan Heaney, der Profiler vom FBI, trabte auf uns zu.
Er arbeitete im nahe gelegenen Federal Building, und daher überraschte mich sein Anblick nicht weiter. Doch sein freundliches Pastorengesicht wirkte merkwürdig abgespannt. Der blaue Anzug sah aus, als hätte er die Knitterfalten hineingeschlafen.
»Sie wissen es schon«, sagte ich.
Er nickte. »Gehen wir nach draußen.«
Wir folgten ihm in die Sonne. Er steckte die Hände in die Taschen und schlenderte zum Brunnen.
»Ich habe bereits mit Detective Chang gesprochen. Er ist der gleichen Meinung wie ich«, sagte er. »Wir werden proaktiv handeln.«
Mein Vater setzte sich die Baseballmütze wieder auf und rückte den Schild zurecht. »Mit Schlagwörtern kann ich nicht viel anfangen, Agent Heaney.«
»Wir versuchen, den Killer in eine Falle zu locken.«
»Und wie wollen Sie das anstellen?«, fragte ich.
»Es gibt mehrere Möglichkeiten. Die Polizei könnte der Presse mitteilen, dass der Killer gesichtet wurde. Dass es Zeugen für den Überfall auf den Sicherheitsbeamten gibt.«
Jesse schüttelte den Kopf. »Das bringt Evan in Gefahr. Kommt nicht in Frage.«
»Und dich auch«, wandte ich ein. »Und Archie und die Maler. Und Ramos.«
»Das ist doch nur ein Trick«, sagte Heaney. »Möglicherweise ließe sich der Killer dadurch verleiten, uns zu erklären, was er hier überhaupt wollte.«
Der Wind blies mir das Haar ins Gesicht. »Coyote ist ein Serienmörder. Sie glauben doch wohl nicht im Ernst, dass er aufs nächste Polizeirevier marschiert und seine Beweggründe erläutert? Es ist doch viel wahrscheinlicher, dass er zielstrebig sämtliche Zeugen aufspürt und beseitigt.«
Jesse zupfte an der klebrigen Farbe auf seinen Jeans herum. »Evan ist bereits ein potenzielles Ziel. Ich glaube nicht, dass man ihm noch mehr Gründe liefern sollte, sie ins Visier zu nehmen.«
»Alternativen?«, wollte mein Vater von Heaney wissen.
»Ein kooperativer Journalist könnte einen Artikel über die Opfer verfassen. Ihm die emotionale Seite der Morde nahebringen, Schuldgefühle in ihm wecken, Sie wissen schon.« Er musterte mich. »Insbesondere eine Journalistin, die die Opfer gekannt hat.«
»Und Sie glauben, dass ihn das dazu bringen könnte, sich zu stellen?«, wollte mein
Weitere Kostenlose Bücher