Schmerzverliebt
haben, wir beide sind sowieso nicht ganz normal, da sollen sie doch glotzen und über uns lachen, wir sind verliebt, und wer verliebt ist, darf alles.
»Und jetzt?«, fragt Sebastian, als wir uns nach einer Weile gegenseitig aus dem Wasser gezogen haben und nun tropfend auf dem Steg stehen. Das Wasser quatscht in unseren Schuhen, die nassen Sachen kleben kalt auf der Haut und die untergehende Sonne wärmt nicht mehr.
»Wir können zu mir gehen. Das ist am nächsten. Ich kann dir ein paar trockene Sachen von Benne leihen.«
»Nee, lass mal, von Benne zieh ich lieber nichts an.«
Sebastians Gesicht hat sich verfinstert.
»Hey, denk bitte nicht schon wieder, dass er dich nicht mag«, sage ich. »Aber gut, gehen wir eben wieder zu dir. Deine Pullis werden mir ja bestimmt passen.«
»Ja«, sagt Sebastian. »Mein Vater ist nicht da und du darfst auch zuerst unter die Dusche.« Er grinst. »Ich gucke auch nicht auf deine Wespenstiche.«
»Mann, vergiss die doch endlich!« Die Erinnerung an die Einschnitte ist mir unangenehm und ich laufe rasch voraus.
Wir bibbern beide, als wir Sebastians Haus betreten.
»Nur raus aus den kalten Klamotten«, sagt er, schiebt mich die Treppe hinauf, öffnet die Tür zum Badezimmer, zeigt mir einen Stapel mit Handtüchern und seinen Bademantel. »Lass dir ruhig Zeit.«
Er schließt die Tür hinter mir und ich schäle mich aus den nassen Sachen. Während ich heiß dusche, betrachte ich meinen Körper. Im Grunde genommen bin ich vorzeigbar. Es gibt eigentlich nichts, was überhaupt nicht stimmen würde. Beine, Po, Busen, alles okay. Auch das Tattoo auf dem kleinen Finger macht sich gut, es ist zwar nur ein winziges, ringförmiges Schlangen-Ornament, aber ungewöhnlich stilvoll, finde ich. Na gut, auf dem linken Arm sind die Schnittwunden von Samstag noch zu sehen, außerdem ein paar ältere Narben, aber das ist jetzt nicht zu ändern.
Ich wickle mich in den Bademantel, werfe einen Blick in den Spiegel und öffne dann die Tür. Sebastian steht draußen, er wirkt blass und ziemlich erfroren, erst als er mich sieht, kommt Farbe in seine Wangen. Wir grinsen beide.
In seinem Kleiderschrank finde ich Shorts und ein langärmeliges Sweat-Shirt. In die Shorts könnte ich locker noch eine zweite Person mit hineinnehmen und das Sweat-Shirt sieht aus wie ein Sackkleid, aber die Arme sind bedeckt und ich muss ja glücklicherweise nicht mit Sandra um die Miss Party konkurrieren. Ich setze mich auf Sebastians Bett, ziehe die Beine an meinen Körper und denke lächelnd an Sandra und Conny. Die beiden würden einen Schreikrampf bekommen, wenn sie wüssten, wie ich hier so sitze. »Püppi«, äffe ich Connys hochnäsige Stimme nach, »das ist einfach nicht normal, wie du dich verhältst.«
Als Sebastian zurückkommt, habe ich es mir bereits gemütlich gemacht: eine Chipstüte aufgerissen und den Inhalt in eine Schale gefüllt, den Sommerhit in den CD-Spieler gelegt, mit den Kissen ein gemütliches Nest gebaut und mir eine Segelzeitschrift zum Lesen geholt.
»Hi! Du fühlst dich ja schon wie zu Hause!« Er freut sich und kitzelt meine nackten Füße.
»Besser!«
»Na dann«, er lässt sich neben mich fallen und begutachtet grinsend meine Kleidung. »Neuer Look?«
»Klar! Ist die neue Kollektion aus Paris!«
Ich stehe auf und stolziere auf seinem Bett hin und her, wobei ich natürlich in der weichen Matratze einsinke, hinfalle und mit den Händen die rutschende Hose festhalten muss.
Sebastian hält sich vor Lachen den Bauch. »So musst du mal in die Schule gehen!«
»Die kriegen ’nen Schreikrampf!« Ich lasse mich neben ihn fallen.
»Die stecken dich in die Klapse!«
Sebastian kriegt sich kaum wieder ein, prustet und johlt, lästert über Connys Miss-Wahl, drückt mich an sich und küsst mich vor Glück, er lacht und lacht, aber ich bin nach seiner Bemerkung wie erstarrt, vielleicht bin ich ja wirklich nicht ganz normal, nur weiß es noch niemand.
»Ach, du bist so süß, Pia.« Er gluckst und betrachtet mich liebevoll. »Ich find’s so schön, dass du bei mir bist.«
»Ja, ich auch«, sage ich leise.
Auf dem Rückweg nehme ich wegen meiner eigentümlichen Kleidung nicht den üblichen Weg durch die Siedlung, sondern laufe den Pfad hinter den Gärten entlang, vorbei an den alten Eichen, auf die wir als Kinder immer geklettert sind. In den Ästen der Eiche, die genau vor unserem Gartentörchen steht, hatte mein Vater Benne und mir damals ein Baumhaus gebaut. Das war unser ganzer Stolz,
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