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Schmerzverliebt

Schmerzverliebt

Titel: Schmerzverliebt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristina Dunker
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so anhänglich heute Vormittag. Beide Schulpausen haben sie miteinander verbracht. Sie wollte ihn gar nicht wieder loslassen.
    Wo bleibt sie denn bloß? Ihr wird doch nichts dazwischengekommen sein? Dann hätte sie bestimmt angerufen. Oder ob ihr etwas passiert ist? Unsinn!
    Er denkt an den Drohbrief, der heute im Briefkasten gesteckt hat. Natürlich geht es um die Firma seines Vaters, die ihr neues Labor auf dem alten Bahnhofsgelände bauen will. Alle nötigen Genehmigungen sind eingeholt, die ortsansässigen Politiker werben bereits mit neuen Arbeitsplätzen und der Baubeginn soll eigentlich direkt nach Ende der Ferien sein. Nur gibt es seit kurzem eine Bürgerinitiative, die den ehemaligen Bahnhof als Naturraum erhalten will und gegen den Bau zu Felde zieht. Sebastian stützt sich auf der Fensterbank auf und seufzt.
    Er will nicht in diese Dinge mit hineingezogen werden.
    Er hasst diese Bilder von schmerzverzerrten Tiergesichtern und weißbekittelten Wissenschaftlern, er hasst aber auch die Tierschützer in der Fußgängerzone. Gleichzeitig wünscht er sich jedes Mal, er wäre einer von ihnen, er fröre und der Regen tropfte ihm von der Wollmütze, er wünschte, er wäre auf ihrer Seite, nicht auf der seines Vaters, auf der er als Sohn selbstverständlich sein muss.
    Sebastian liebt seinen Vater. Er macht ihm nie Stress wegen seiner Figur, so wie seine Mutter es getan hat, bevor sie ausgezogen ist, er behandelt ihn nie wie ein kleines Kind, sondern stets wie einen Freund, einen Erwachsenen, einen gleichwertigen Partner. Sein Vater trifft nie eine Entscheidung, ohne Sebastian nicht zumindest nach seiner Meinung zu fragen. Egal, ob es um das Verhältnis zu Sebastians Mutter geht oder um den Job. Letztendlich macht er zwar doch das, was er für richtig hält, aber er gibt Sebastian das Gefühl, als höre er wenigstens ein bisschen auf ihn.
    Und alles in allem, denkt Sebastian, ist es ja auch nicht seine Sache, wie sein Vater sein Geld verdient. Als Sohn ist er nicht dafür verantwortlich, was sein Vater macht. Doch Benne sieht in Sebastian das personifizierte Böse. Dabei ist er das wirklich nicht!
    Er könnte Benne eine reinhauen. Der hat in der Schule schon Leute gegen ihn aufgehetzt. Heute wollte Petra nicht einmal mehr neben ihm sitzen, obwohl sie das seit Jahren tut und sie sich immer gut verstanden haben.
    »Weißt du, ich hab einen kleinen Hund, und den lieb ich sehr«, hat sie gesagt.
    Verdammt noch mal! Er ballt die Fäuste. Dieser bescheuerte Benne! Dieser unfehlbare Gutmensch, dieser Rächer der Wehrlosen, dieser Heilige in Person! Er hasst ihn, und er hasst ihn noch mehr, weil er weiß, dass er selbst so denken würde, wäre er nicht der Sohn seines Vaters.
    Wie auch immer, heute muss Sebastian mit Pia darüber reden. Er muss ihr sagen, dass sein Vater als Biologe in der pharmazeutischen Forschung arbeitet und dabei auch Tierversuche durchführt. Und dass er das zwar nicht gut findet, aber nun mal nicht ändern kann. Und dass er hofft, dass Pia ihn trotzdem weiter lieben werde.
    »Ich jedenfalls liebe dich«, sagt er leise gegen die Fensterscheibe und legt müde die Stirn dagegen. Eine Weile verharrt er so, dann sieht er auf die Uhr. Fast vier. Plötzlich weiß er: Sie wird nicht mehr kommen.

13 Pia
    Es war letztes Jahr im Sommer, etwa um diese Zeit, also kurz vor den Ferien. Meine Mutter war auf einer mehrtägigen Fortbildung, Benne auf Klassenfahrt und mein Vater mit einem Bandscheibenvorfall im Krankenhaus. Mich ließen sie allein, weil ich schon fünfzehn war, Conny in diesen Tagen zu mir zog, die Nachbarn ein Auge auf uns hatten und mein Vater ja notfalls in greifbarer Nähe war.
    Es war eine lockere Zeit. Sturmfreie Bude für Conny und mich. Die Sommerhits schallten den ganzen Tag durchs Haus und durch die offenen Fenster in den Garten und niemanden störte es. Ich tanzte, sang und pfiff, wenn ich den Abwasch machte oder meine Schultasche packte. Zum Essen gab’s nur leckere Sachen: Nutella auf Toast zum Frühstück, Fertigpizza am Mittag und zwischendurch Eis. Wir schliefen im Ehebett meiner Eltern, bespritzten uns morgens im Badezimmer mit Wasser, lieferten uns Schlachten mit zusammengerollten Socken und saßen abends friedlich unter bunten Lampions auf der Terrasse, grillten Würstchen und sahen den Glühwürmchen zu, die über die Wiese flogen. Außerdem war Freibadsaison. Ich war knackebraun, hatte einen neuen Bikini und fühlte mich darin zum ersten Mal richtig sexy.
    Conny hatte, nachdem

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