Schmerzverliebt
erreicht, als das Unwetter losbricht: Blitze zucken über den Himmel, der Donner grollt direkt über uns, rosafarbene Blüten wehen von den Bäumen, und ich kreische vor Glück, während Sebastian mich weiterzieht und der Regen meine Kleidung durchweicht. Endlich in der alten Schalterhalle angekommen, ziehen wir die nassen Sachen aus, trocknen uns notdürftig mit einem alten T-Shirt ab, kuscheln uns auf meiner Turnmatte zusammen, zünden einen Kerzenstummel an und lauschen auf das Geräusch der Regentropfen auf dem Dach. In der kleinen Halle hat sich die warme, stickige Luft der letzten Tage gehalten, die Vogelkinder fiepen fröhlich in ihrem Nest und der ganze Raum kommt mir plötzlich vor wie eine sichere Insel im tosenden Sturm.
»Stell dir vor«, male ich mir aus, »alle Menschen würden draußen in einer Sintflut ertrinken, und wir wären die einzigen Überlebenden …«
»Dann können sie dich aber nicht in die Pop-Band wählen.«
»Egal!« Ich schüttele heftig den Kopf und drücke meine Nase in sein feuchtes Haar. »Im Moment möchte ich einfach nur allein sein mit dir.«
»Bist du sicher?« Er schmunzelt, küsst mich auf die Nase. »Wir könnten wie Robinson mit dem Segelboot gestrandet sein.«
Mit dem Segelboot … In ein paar Tagen steigt er wirklich auf ein Segelboot und ich bleibe hier allein zurück. Die Vorstellung macht mir die ganze schöne Stimmung kaputt.
»Ist dir kalt?«, fragt Sebastian und streicht über meine bloßen Arme.
»Nein.« Ich drehe den Kopf weg, knabbere an den Fingernägeln.
»Du hast aber eine Gänsehaut!«
»Und wennschon!« Ich schüttele seinen Arm ab, stehe ruckartig auf.
»Pia, was ist los?«
»Nichts!«, zische ich, gehe zum Fenster und blicke durch die Ritzen zwischen den Brettern hinaus. »Der verdammte Regen hört überhaupt nicht wieder auf!«
Sebastian senkt den Kopf und zupft mit den Fingern Fäden aus einem Loch in der Turnmatte. »Gerade fandest du den Regen noch schön«, murmelt er.
»Ja, gerade.« Ich trommele mit den Fingerknöcheln unruhig gegen die Holzbretter. »Vielleicht finde ich ihn auch in einer Woche wieder schön, wenn ich hier zu Hause hocke und Däumchen drehe, während du dich mit deinem doofen Vater auf eurer teuren Yacht in der Sonne aalst!«
»Segeln ist Sport. Das hat mit Faulenzen nichts zu tun.«
»Das sieht man ja an deiner sportlichen Figur!«, keife ich, und als ich sehe, wie Sebastian bei meinen Worten zusammenzuckt, tut es mir schon wieder Leid. Ich wollte ihn nicht beleidigen, im Gegenteil, ich wollte ihm eher sagen, dass ich nicht weiß, wie ich sechs Wochen ohne ihn aushalten soll. Trotzdem kann ich nicht zurücknehmen, was ich gesagt habe, und da Sebastian schweigt, gibt es einige Minuten Funkstille. Schließlich, es kommt mir endlos lange vor, steht Sebastian auf, nimmt seine Sachen und zieht sie sich über.
»Willst du schon gehen?«, frage ich und biege die Finger meiner linken Hand so weit nach hinten wie möglich.
Er gibt keine Antwort, steuert auf die Tür zu. Ich muss ihn aufhalten!
»Es regnet doch noch«, sage ich hilflos.
Sebastian seufzt und dreht sich um. Neben der Tür liegt das Lebkuchenherz auf dem Boden, er kickt es mit dem Fuß in meine Richtung und lässt es über den glatten Boden zu mir herüberschlittern.
In meinen Augen beginnt es zu kribbeln, und vielleicht bemerkt er es, denn bevor er geht, sagt er noch: »Du wirst mir in den Ferien auch fehlen, Pia.« Dann ist er weg, ich bin allein, der Regen trommelt, die Tränen fließen, und das Gefühl, Sebastian verloren zu haben, ist so groß, dass ich hemmungslos losschluchze.
Was habe ich nur wieder getan? »Püppi, wenn du nicht endlich lernst, weniger egoistisch und gemein zu anderen zu sein, wird dich nie jemand lieb haben!«, habe ich die Stimme meiner Mutter im Ohr, ich sehe sie in der Tür zu meinem Zimmer stehen, blass, kopfschüttelnd, mal wieder maßlos enttäuscht. Und sie hat Recht behalten. Ich bin genau so geworden, wie sie es mir prophezeit hat. Und jetzt habe ich auch noch Sebastian völlig überflüssigerweise angegriffen! Ausgerechnet! Den liebsten Menschen, den ich kenne!
Hilfe suchend sehe ich mich um. Vor ein paar Tagen ist mir beim Trainieren eine Wasserflasche zerbrochen. Das Glas liegt noch da. Hastig greife ich eine handliche, wie ein steinzeitliches Werkzeug geformte Scherbe heraus.
Die Tränen trocknen und mir wird ganz klar im Kopf. Sieh her Sebastian, ich werde jetzt auch segeln und zwar auf der höchsten Welle,
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