Schmetterlinge im Gepaeck
er jemandem dankt.
»Ja«, antwortet er. »Natürlich.«
Kapitel sechzehn
N a than weckt mich früher als sonst, damit wir vor der Schule reden können. Und auch als Strafe, nehme ich an. Ich habe nur drei Stunden geschlafen. Beim Anziehen linse ich durch meine Vorhänge und stelle fest, dass Cricket seine offen gelassen hat. Seine übliche Ledertasche und der Wäschebeutel sind weg.
Ich spüre einen stechenden Schmerz in meiner hohlen Brust.
Widerwillig schleppe ich mich nach unten. Andy ist wach â er steht sonst nie so früh auf â und brät Rühreier. Nathan sitzt in einem seiner schicksten Anzüge am Tisch und checkt seine E-Mails. Keine Spur von Norah. Wahrscheinlich schläft sie auf der Ausziehcouch in Nathans Büro.
»Hier.« Andy schiebt eine groÃe Tasse Kaffee zu mir rüber. Normalerweise möchte er nicht, dass ich Kaffee trinke, also ist es ernst. Wir nehmen neben Nathan Platz, der sein Handy beiseitelegt.
»Lola, wir verstehen, warum du gestern Abend abgehauen bist«, sagt Nathan.
Ich bin schockiert. Und erleichtert, dass ich Lola bin und nicht Dolores.
»Aber das ist keine Entschuldigung für dein Verhalten«, fährt er fort. »Du hast uns eine Heidenangst eingejagt.«
Das mag wohl stimmen.
Es folgt die Predigt, die ich erwartet habe. Sie ist unangenehm, sie ist lang, und sie endet damit, dass ich einen Monat Hausarrest bekomme. Sie glauben mir nicht, als ich ihnen sage, dass ich das Hasch nicht geraucht habe, von dem sie wissen, dass es Max gehört. In beiden Punkten kann ich sie nicht vom Gegenteil überzeugen. Ich bekomme eine ausführliche Zusatzpredigt darüber, wie gefährlich Drogenkonsum ist, und möchte am liebsten auf die geschlossene Bürotür zeigen und sagen: »Ja, wie man sieht.«
Aber das mache ich nicht.
Der Schulweg ist lang, der Schultag noch länger. Lindsey versucht, mich mit Geschichten über den unruhigen Mann zu unterhalten, den ihre Eltern als Hilfskraft im Restaurant angestellt haben. Sie ist davon überzeugt, dass ihn irgendein dunkles Geheimnis umgibt, zum Beispiel, dass er eine verdeckte Identität hat oder über eine Vertuschung der Regierung Bescheid weiÃ. Aber ich kann nur an heute Abend denken. Ich muss nicht arbeiten. Und ich bin nicht mit Max verabredet und werde auch einen ganzen Monat lang keine Verabredung mehr mit ihm haben â bis auf den Sonntagsbrunch, falls er da überhaupt auftaucht. Und ⦠kein Cricket.
Immerhin habe ich jetzt ganz viel Zeit, um an meinem Kleid zu arbeiten.
Der Gedanke heitert mich nicht gerade auf. Mit der Schnürbrust komme ich schneller voran als erwartet, und ich habe sogar schon mit der Perücke angefangen, aber das Panier ist frustrierend. Ich verbringe den Nachmittag damit, Hausaufgaben zu machen, mit Lindsey zu chatten und feines Drahtgeflecht über meine weiÃe Grundperücke zu ziehen. Marie Antoinette trug RIESIGE Perücken. Der Draht wird dem Ding die nötige Höhe geben, ohne dass es dabei allzu schwer wird. Später bedecke ich ihn dann mit passendem Kunsthaar.
Norah redet mit Andy in der Küche. Sie haben heute ihre Sachen abgeholt und die Kisten bedecken Nathans Antiquitäten und nehmen unser ganzes Wohnzimmer ein. Die Pappe riecht nach Weihrauch und Schmutz. Norahs Stimme klingt erschöpft und ich zucke zusammen und drehe meine Musik lauter. Ich habe sie immer noch nicht gesehen. Bald werde ich es müssen, aber ich schiebe es so lange wie möglich hinaus. Bis zum Abendessen, denke ich.
Um halb sieben klingelt es an der Tür.
Ich halte inne â meine Zange am Draht, meine Ohren gespitzt. Cricket?
Doch dann höre ich Maxâ tiefe, raue Stimme. Ich lasse die Zange fallen und stürze nach unten. Das kann nicht sein, das kann nicht sein, das kann nicht sein . Aber ⦠da ist er. Er hat sogar sein übliches schwarzes T-Shirt gegen ein gestreiftes Hemd eingetauscht. Seine Tätowierungen gucken unter den Manschetten hervor. Und natürlich trägt er seine Brille.
»Max«, sage ich.
Er lächelt mich an. »Hey.«
Andy sieht so überrascht aus, wie ich mich fühle. Er hat keinen Schimmer, was er tun soll. Ich schlinge die Arme um Max. Er drückt mich an sich, macht sich aber sofort wieder los. »Wollte mich bloà vergewissern, dass du noch am Leben bist«, flüstert er.
Ich drücke seine Hand und lasse sie nicht los. Mir war gar nicht
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