Schmetterlingsgeschichten - Chronik II - Rock 'n' Roll (German Edition)
dem
Schreibtischstuhl. Sie hatte mal gehört, dass ordentliches Sitzen wichtig für
den Rücken war. Sie hatte die ganze Zeit über E-Mails beantwortet, die alle
fast denselben Inhalt hatten. Ob es Sebastian war, der den Dom zerstört hatte?
Ob es ihm gut geht? Wo er jetzt steckt? Doch die letzte Mail, die sie geöffnet
hatte, wich enorm von allen anderen ab. Julia hatte sie fast in den Spamordner
geworfen. Es war ein Junge, oder eher ein junger Mann aus Frankreich, der einen
fast zaghaften Text in schlechtem Deutsch geschrieben hatte. Fast so, als würde
er sich nicht trauen… oder lieber nicht alles sagen wollen.
Julia
zeigte mit dem Finger auf den Monitor, auf dem das Textfenster geöffnet war. Da
stand: »Hallo Sebastian, ich hoffe, dass auch wirklich du diese Mail erhältst, denn
ich weiß nicht wirklich mehr weiter. Ich habe deine Bilder im Fernsehen gesehen
und fast drei Wochen gebraucht, bis ich deinen Namen hatte und noch mal ein
paar Tage mehr, bis ich wenigstens deine Mailadresse hatte. Bitte lösche diese
Nachricht nicht sofort. Ich habe vielleicht eine ungewöhnliche Frage, oder besser
gesagt, mehrere Fragen an dich. Mein Name ist Pierre und ich wohne in der
Camargue. Das ist ganz im Süden von Frankreich. Die Flamingos kommen aus
unserer Gegend. Und die Gipsy Kings sind dir vielleicht auch ein Begriff. Na
egal. Vor über einem Monat ging etwas Merkwürdiges mit mir vor. Irgendwas hatte
sich mit meinem Körper verändert. Ich träumte schlecht, und auch tagsüber hatte
ich das Gefühl, als würde sich eine Stimme in meinem Kopf aufhalten. Als erstes
dachte ich, dass ich vielleicht krank bin.
Dann
bekam ich immer so ein Zittern. Ich bin zum Arzt gegangen, der sagte mir aber,
dass ich kerngesund bin. Aber das ist eher unwichtig. Wenn ich mich bei dir an
den oder einen Richtigen wende, dann weißt du das alles sowieso schon. Jetzt
kommt der Teil, an dem ich dir nicht alles sagen kann, falls du doch nicht der
bist, den ich suche. Deswegen muss ich dir jetzt eine komisch wirkende Frage
stellen. Wie findest du Schmetterlinge? Du brauchst mir auch nur zu antworten,
wenn du was mit dieser Frage anfangen kannst. Wenn nicht, dann brauchst du auch
nicht zu schreiben. Aber irgendwie hoffe ich schon, dass ich mit dir den
Richtigen erwischt habe, sonst muss ich weitersuchen. Bis bald, dein Pierre.«
»Löschen.
Schnell löschen. Das könnte ein Virus oder ein Trojaner sein, der dir den
ganzen Computer kaputt macht«, warnte Leidenvoll aus Erfahrung.
»Das
sollten wir Sarah sagen oder zeigen. Das solltest du nicht alleine
beantworten«, sagte Herr Feuerstiel zu Julia.
»Bist
du bescheuert?«, fragte Leidenvoll Herrn Feuerstiel. »Das erkläre ich dir zum
richtigen Zeitpunkt«, antwortete dieser.
Frau
Feuerstiel hatte sich die Mail natürlich auch mit durchgelesen, doch war das
nicht sonderlich ihre Sache. Das waren Rittersachen und das war für sie jetzt
wie eine andere Welt. Sie hatte ganz andere Sorgen. Sie machte das Fenster in
dem Zimmer auf Kippe.
»Mann,
ist das warm hier drin«, dachte sie. Sie musste sich schon um das Haus, um Julia
und ihren Mann kümmern und schauen, dass sie Geld sparten. Es reichte schon,
dass sie nicht wussten, wie es
Sebastian
ging. Nicht zu wissen, ob er gut geschlafen hatte, nicht zu wissen, ob er
gesund war, nicht zu wissen, ob er überhaupt richtig zu essen bekam… und noch
viele Dinge mehr, beanspruchten sie voll.
»Hatten
sich die beiden Männer gerade geduzt?«, fragte sie sich und schaute beide an.
Jetzt
kamen ihr Bilder von Schlägereien in Nierst, brennenden Autos und verzweifelten
Lehrern in den Kopf. Sie schreckte förmlich hoch.
Sie
kannte eine Barbara Leidenvoll. Die war damals mit dem größten Chaoten von
Meerbusch zusammen. Wie hieß er noch? Uwe Bartel!!
Er
war der beste Freund ihres Mannes gewesen, bis sie in sein Leben getreten war.
Als erstes hatte sie ihn dazu gebracht, aus dem Fußballverein auszutreten… und
dann aus der Freiwilligen Feuerwehr.
Im
Schützenverein war er auch mit Uwe gewesen. Und überall war ihr Mann zusammen
mit ihm, Uwe Bartel, dem größten Trunkenbold neben ihrem Mann. Die beiden waren
damals ein Garant für Action auf langweiligen Partys oder Veranstaltungen. Wenn
die Stimmung in den Keller zu plumpsen drohte, hatte schnell eine
Kneipenschlägerei oder irgendwas total Schwachsinniges begonnen. Die beiden
hatten sich schon mal aus reiner Langeweile selber verprügelt. Doch
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