Schmetterlingsjagd (German Edition)
Eine dünne rothaarige Polizistin mit einer langen Nase schaut kurz von ihrem Papierstapel hoch. Auf einer goldenen Anstecknadel an ihrem Revers steht: Graham.
«Aber ich – ich muss mit ihm sprechen. Jetzt», würge ich hervor. Feuer züngelt meine Kehle herunter. Ich hasse die Bullen. Ich hasse es, ihre gestärkten blauen Uniformen zu sehen und ihre selbstgefälligen, müden Gesichter.
Ich weiß, dass Polizisten da sind, um zu helfen, aber seit jenem Tag, an dem sie kamen, um uns das von Oren zu erzählen, als die Welt sich entwirrte und auseinanderfiel und sie nur sagten: Tut uns leid, dass wir Ihnen die schlechte Nachricht überbringen mussten – seitdem kriege ich ein kribbeliges Gefühl. Ein nervöses, falsches, Aus-dem-Lot-Gefühl.
Ein abgesagtes Picknick ist eine schlechte Nachricht. Eine Kreditkartenrechnung ist eine schlechte Nachricht. Mein Bruder, mein einziger, schöner Bruder, der für immer von uns gegangen ist, ist keine schlechte Nachricht.
«Ihr Name?»
Meine Hände ballen sich an den Schenkeln zu Fäusten, nachdem ich mein Getippe beendet habe, und ich strenge mich an, das Wort Banane nur zu flüstern. Aber sie hört mich. Ich weiß das. Mein Gesicht ist ganz heiß.
Graham sagt: «Ah, Entschuldigung. Ich habe Sie nicht verstanden …» – als ob sie glaubt, dass ich verrückt bin. Total durchgeknallt.
«Penelope Marin», sagte ich und wiederhole es ganz leise noch zwei Mal: Pe-ne-lo-pe-Ma-rin Pe-ne-lo-pe-Ma-rin.
«Also, Penelope, Officer Graham und ich haben jetzt Dienst. Wenn es eilt, schlage ich vor, dass Sie es uns erzählen», sagt der Mann neben ihr. Auf seinem Namensschild steht: Pike. Er sieht ein wenig zerknautscht aus und hat kleine Knopfaugen.
«Es geht um Sapphire, das Mädchen, das man …», ich tippe schnell neun Mal mit der rechten Handfläche gegen meinen Schenkel, damit die Wörter hüpfen und nicht kleben, «… ermordet hat. In Neverland.»
«Der Fall ist gelöst, Penelope», meldet sich Graham zu Wort. «Haben Sie das nicht gehört? Wir haben einen Mann festgenommen, der in Verbindung …»
«Nein.» Ich schüttele den Kopf. «Nein. Nein. Nicht gelöst.»
Pike mustert mich müde, schaut dann Graham an und erhebt sich von seinem Schreibtisch. «Okay.» Er umrundet den Tisch mit einem Notizblock, einem Stift und einem Snoopy-Becher mit schwarzem Kaffee in den Händen und baut sich neben mir auf. «Lassen Sie uns irgendwohin gehen, wo wir allein sind, und Sie erzählen uns, was Sie wissen.»
Die East-Cleveland-Polizeistation ist quadratisch und beige und lila. Sie sieht selbst aus wie eine Gefängniszelle: übermalte Ziegelwände und Linoleumböden, hie und da kalt glänzendes Metall und Glas, und überall klingelt, piept und brummt es ununterbrochen. Pike geht vor mir her und summt vor sich hin. Wir laufen durch einen hell erleuchteten Flur zu einem Raum, an dessen Tür auf einem Schild steht: Officer Mitchell Pike.
Tip tip tip, Banane. Ich flüstere, mein Puls rast, und ich bete, dass er laut genug summt, um mein Banane nicht zu hören. Er sagt nichts.
Das Zimmer ist karg eingerichtet: ein langer, solider Holztisch, kahle lilafarbene Wände, vier graue Plastikstühle, ein hölzerner Bilderrahmen: glückliche Familie, Weihnachtsbaum, großer pelziger Hund. Wir setzen uns, und Graham kommt hinterher mit einem Becher dampfenden Tee in der einen, eine Mappe in der anderen Hand. Sie stellt den Becher vor mir ab: «Hoffentlich mögen Sie schwarzen Lipton-Tee. Anderen haben wir nicht.»
Pike lehnt sich in seinem Stühlchen zurück und schlägt die Beine übereinander. Graham beugt sich vor und stützt ihre Ellenbogen auf den Tisch. Pike räuspert sich. «Versuchen Sie sich zu entspannen, okay?» Er öffnet die Beine wieder und schlägt sie erneut übereinander, das linke Bein über dem rechten. «Wir hören zu», fährt er fort, nimmt einen Schluck Kaffee und fummelt an seinem Stift herum. «Wenn Sie bereit sind.»
Ich nehme einen vorsichtigen Schluck aus dem Becher. Immer noch zu heiß. Sie rutschen beide auf ihren Stühlen nach vorn, näher zu mir, wartend. Sie haben mir Tee gebracht. Sie wollen zuhören. Die Wände gehen ineinander über, die Ecken schmiegen sich um uns in diesem leeren, stillen Raum, und ich erzähle davon, wie mich ein Türsteher in ein Hinterzimmer im Club gezogen und mich bedroht hat, von der Katze, der Säure. Und von Mario und dem Westwood Center. Alles.
Graham wirft Pike einen Blick zu und schaut dann zu mir, ihre Finger streichen
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