Schmetterlingsschatten
führte Elena bis zur Hütte. Dort ließ er sie los und fingerte einen Schlüssel aus einem Spalt zwischen zwei Holzbalken hervor. »Jeder von uns kann hierherkommen, wenn er mal eine Auszeit braucht, und wenn du magst, kannst du das auch.«
Elena musterte ihn unsicher. Meinte er das ernst? Warum war er so großzügig?
»Okay«, antwortete sie nur, »danke.«
Die Tür schwang quietschend auf und gab den Blick auf den Klubraum frei. An den Wänden hingen noch vereinzelte Jagdtrophäen. Hirschgeweihe und der verstaubte ausgestopfte Kopf eines Wildschweins, der Elena bösartig anzusehen schien. Doch der Rest der Hütte war durchaus gemütlich. Eine Petroleumlampe baumelte von einem Dachbalken herab. Entlang der Wände lagen mehrere alte Matratzen mit ausrangierten Sofakissen darauf, in der Mitte stand ein improvisierter Tisch aus Holzkisten, über die ein dunkles Tuch gebreitet war. Der Tisch quoll über von Kerzenresten, Aschenbechern, Flaschen und leeren Chipstüten. In einer Ecke standen mehrere Kisten mit Bier und Cola, daneben ein kleiner, alter Fernseher mit Videorekorder. Und in einem Regal waren alle möglichen Gegenstände aufgereiht: eine Taschenlampe, ein zerfleddertes Notizbuch, mehrere Kartenspiele, ein Stapel Comics, Zigarettenpackungen, noch mehr Kerzen, Flaschen mit Lampenöl, ein Ghettoblaster nebst einem Stapel CDs und eine schon etwas ältere Polaroidkamera.
»Na, wie findest du es?« Tristan ließ sich auf eine der Matratzen fallen.
»Wo habt ihr nur das ganze Zeug her?« Elena wanderte durch den Raum und blieb fasziniert vor dem Regal stehen. Der Ghettoblaster sah ziemlich neu aus. Sie entdeckte ein Foto vom örtlichen Friedhof, das an die Rückseite des Regals geheftet war, und fragte sich, was die Clique um Himmels willen damit wollte.
»Ach, so nach und nach zusammengesammelt. Sag schon, wie findest du es?«
Elena drehte sich zu ihm um und lächelte. »Gemütlich«, gestand sie. »Ist bestimmt klasse, hier zu feiern.« Sie wünschte sich, sie könne mit Vivienne und Timo auch so einen Unterschlupf finden. Einen, von dem ihre Mutter garantiert nichts wusste. Einen, wo sie nicht anrufen und Elena nach Hause ordern konnte.
Tristan grinste. »Du kannst gerne mal auf eine Party vorbeikommen.« Er stand auf, schlenderte lässig zu den Bierflaschen hinüber und schien überhaupt nicht zu merken, wie verblüfft Elena ihn anstarrte. Hatte sie richtig gehört? Tristan hatte sie zu einer Party eingeladen?
»Du auch?« Er schwenkte eine Bierflasche in ihre Richtung. Elena schüttelte den Kopf. Bier schmeckte ihr nicht besonders.
»Ich nehm eine Cola, wenn ich darf«, sagte sie zögernd.
»Klar«, erwiderte Tristan und drückte ihr eine Literflasche in die Hand, bevor er sich wieder auf seine Matratze fallen ließ. »Wie lange willst du eigentlich noch ungemütlich im Raum rumstehen, setz dich doch endlich!« Dabei klopfte er einladend neben sich auf die Matratze.
Mit einem Schulterzucken setzte sie sich neben Tristan, lehnte sich gegen die raue Holzwand und ließ es zu, dass er einen Arm um ihre Schultern legte. Und auf einmal fiel es ihr überhaupt nicht mehr schwer, mit ihm zu sprechen.
Elena bemerkte gar nicht, wie die Zeit verging. Es war angenehm, hier zu sitzen und mit jemandem zu reden, der zuhörte und sie ernst nahm. Tristan behandelte sie wie eine Erwachsene, gar nicht wie das kleine, dumme Mädchen, das sie in seinen Augen sein musste. Sie erzählte von ihrer Mutter, ihrem Vater, der in Afrika Staudämme baute, von Laura. Sie erzählte ihm, dass sie Fotografin werden wollte, oder vielleicht Forscherin, um neue Länder zu entdecken. Und schließlich erzählte sie ihm sogar von dem Unfall, bei dem Laura gestorben war.
»Alle glauben jetzt, dass diese Leiche etwas damit zu tun hat, das nervt mich echt«, beklagte sie sich.
Tristan nickte verständnisvoll. »Das glaube ich. Muss ja schlimme Erinnerungen wachrufen.«
Elena verzog das Gesicht. »Ist es okay, wenn wir da nicht drüber reden?«
»Ist okay.« Er sah auf seine Uhr. »Verflixt, ich muss heim.«
Elena fuhr zusammen und wagte ebenfalls einen Blick auf die Zeit. »Oh Mann!« Viertel nach sieben. Bis sie zu Hause wäre, war es bestimmt schon fast acht. Ihre Mutter würde ausflippen.
Tristan machte ein betretenes Gesicht. »Tut mir leid, jetzt bekommst du bestimmt Ärger.«
Elena wollte ihm zustimmen, doch gerade rechtzeitig fiel ihr ein, dass Ärger mit der Mutter Kinderkram war. Und sie war doch cool. So winkte sie lässig
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