Schmetterlingsscherben
er sie ruhig als lebendes Wesen ansehen konnte. Denn genau das war sie. «Sie heißt Rachel.»
«Was für ein hübscher Name.» Er schenkte mir ein spöttisches Grinsen, ehe er aus dem Raum verschwand und die Tür hinter sich offen ließ. Charlotte wartete bereits im Flur auf mich, als ich hinaustrat.
Offenbar hatte sie sich umgezogen. Sie trug jetzt ein enganliegendes, rosafarbenes Kleid, das, wie ich neidlos zugestehen musste, wirklich gut an ihr aussah. Sie musste eine Menge Verehrer haben, ich hatte keine Ahnung, warum sie sich da ausgerechnet auf den nicht allzu attraktiven und dazu noch wahnsinnig unfreundlichen und unsympathischen Martin eingelassen hatte.
Sie sagte dieses Mal kein einziges Wort, was mir nur recht war, da eh nichts Freundliches über ihre Lippen drang.
Mein neues Zimmer war kein Palast, aber wesentlich komfortabler als das vorherige. Es gab ein kleines Fenster, wenngleich auch ein Gitter davor angebracht worden war. Dahinter konnte man grüne Weiten erkennen. Das Gebäude schien, ähnlich wie die Anderson-Villa in Hoya, irgendwo am Ortsrand zu liegen.
Der Raum selbst war nicht sonderlich anders geschnitten, aber das Bett darin war etwas größer und mit sauberer Bettwäsche bedeckt, es gab einen kleinen Schreibtisch mit Stuhl und einen Kleiderschrank und auf dem Tisch lagen ein paar saubere Kleider gestapelt und daneben stand ein Teller mit beschmierten Broten.
Als Charlotte den Raum verließ, schloss sie hinter mir wieder ab, was ich allerdings bereits erwartet hatte. Ich stürzte direkt zum Fenster und riss es weit auf, um frische Luft hereinzulassen und den Wind auf der Haut zu spüren.
Erleichtert atmete ich die kalte Luft tief ein, ehe ich mir die Sachen auf dem Schreibtisch näher ansah. Ich verschlang gleich drei der Brote hintereinander, ehe ich mir erleichtert endlich wieder Unterwäsche anzog, auch wenn es welche mit Snoopy drauf war. Offenbar hatte sich Charlotte einen Spaß daraus gemacht, mir Sachen aus der Kinderabteilung zu besorgen. Auf der Jeans waren am unteren Hosenbund kleine Herzchen und das lilafarbene T-Shirt war verziert mit glitzernden Schmetterlingen.
Trotzdem war das allemal besser als das dünne Kleidchen, das ich vorher getragen hatte.
Seufzend ließ ich mich auf dem Stuhl fallen und starrte sehnsüchtig hinaus aus dem Fenster in die Natur. Irgendwo hörte ich ein paar Vögel zwitschern und obwohl es bewölkt war, sah das Wetter eigentlich ganz gut aus.
Ein Schmetterling verirrte sich in mein Zimmer und ließ sich auf dem Schreibtisch vor mir nieder. Fasziniert betrachtete ich ihn genauer und stellte erschrocken fest, dass er leuchtend türkis und eindeutig aus Plastik war. Er musste von meinem Kostüm gewesen sein.
«Wie kommst du hier her?», fragte ich leise und hielt die Hand vor ihm ausgestreckt. Bereitwillig krabbelte er darauf.
«Du könntest überall hinfliegen», sagte ich dann und sah ihn nachdenklich an. «Du bist frei, du musst nicht hier bei mir bleiben. Ich kann hier nicht fort.» Noch nicht. Innerlich betete ich, dass Rachel siegen würde. Sie war nicht schwach wie ich, sie würde es für uns beide schaffen.
Ich musste am Schreibtisch sitzend eingeschlafen sein, denn als ich das nächste Mal aufwachte, war es eisigkalt im Raum und draußen war es stockdunkel. Erschrocken fuhr ich aus dem Schlaf hoch, weil irgendjemand den Flur hinunterbrüllte. Der Schmetterling, der mittlerweile in Gesellschaft eines Zweiten war, hatte sich auf meinem Haar niedergelassen und fuhr nun genauso abrupt wie ich ihn die Höhe.
Ich hörte den Schlüssel in der Tür. «Versteckt euch», flüsterte ich den Schmetterlingen zu, ehe ich mich erwartungsvoll umdrehte. Mit einem Knall flog die Tür gegen die Innenwand und Martin stürmte herein.
«Du dreckiges, kleines Miststück!», rief er und schmiss mich mit einem wahnsinnig harten Schlag vom Stuhl und gegen die Zimmerwand. Für einen Moment drehte sich alles in meinem Kopf und ein stechender Schmerz durchzog meinen Schädel. «Hast du wirklich geglaubt, wir würden nicht dahinter kommen?!» Martin zog mich vom Boden hoch und schleifte mich mit sich, ohne mir eine Chance zu geben, auf die Füße zu kommen und mitzulaufen.
«Was ist denn los?», quietschte ich, weil er mir keine Zeit für Erklärungen ließ. Irgendwie schaffte ich es auf die Beine und beeilte mich, mit den schnellen Schritten von ihm mitzuhalten. Der Griff um meinen Arm war fest und tat fast mehr weh als mein hämmernder Schädel. Ich hatte
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