Schmetterlingstod: Kriminalroman (German Edition)
der Stoßstange.
John bremste.
»Das war ja klar«, murmelte er. Wie hatte er so leichtfertig annehmen können, eine
gutmütige ältere Dame und ein paar Schlösser würden sie aufhalten? Er hätte sie
inzwischen gut genug kennen müssen.
Laura Winter
marschierte um die Motorhaube herum, machte die Beifahrertür auf und nahm Platz.
Ohne ein Wort.
»Was soll
das, Laura?«
»Glaub mir,
John, es hat nicht den geringsten Sinn, jetzt eine Diskussion mit mir anzufangen.«
Sie sahen
sich in die Augen, prüften sich, maßen sich, duellierten sich. Wie schon so oft.
So lange, bis John schließlich resigniert den Blick nach vorn richtete und seinen
Fuß sachte aufs Gaspedal schob.
»Na also«,
lautete Lauras zufriedener Kommentar.
Sie fuhren
durch den Feierabendverkehr in Richtung Lehen, eine ehemals selbstständige Gemeinde,
die Anfang der 1970er-Jahre zum nordwestlichen Stadtteil Freiburgs geworden war.
John Dietz war schon lange nicht mehr hier gewesen, und so dauerte es eine Weile,
bis er sich zurechtfand. Im Grunde war ja keine Eile geboten. In gemächlichem Tempo
steuerte er den Fiesta durch Straßen, die ihren dörflichen Charakter bewahrt hatten.
Sie passierten den Bundschuhplatz, den er noch gut in Erinnerung hatte. Von jetzt
an fiel ihm die Orientierung leichter. Er stoppte an einer Bushaltestelle, um mit
seinem Handy dieselbe Nummer zu wählen, die er bereits vom Büro aus angerufen hatte.
»Ja, hallo?«,
meldete sich gleich die Stimme der älteren Frau.
»‘n Abend,
hier ist noch mal Harry. Ist Peter jetzt da? Ich muss ihn unbedingt sprechen.«
»Ach, Sie
schon wieder. Ich habe Ihnen doch gesagt, dass er nicht hier ist. Sie können sich
Ihre Anrufe sparen.« In der Stimme schwang Unmut mit, den er bereits beim ersten
Telefonat bemerkt hatte.
»Wann kann
ich Peter denn erreichen?«
»Junger
Mann, das kann ich Ihnen wirklich nicht sagen.«
»Vielleicht
haben Sie ja noch eine Handynummer von ihm und …«
Sie legte
auf.
Nicht nur
Unmut, auch ein gewisses Zittern war in ihren Worten spürbar gewesen, John war sich
sicher. Dieses Zittern war überhaupt der Grund gewesen, dass er dazu bereit war,
an diesem Abend ein paar Stunden zu investieren. Höchstwahrscheinlich umsonst. Aber
viele Möglichkeiten blieben ihm ohnehin nicht, und diese wollte er nicht einfach
verschenken.
Er reihte
sich wieder in den spärlicher werdenden Verkehr ein und fand bald die Adresse, auf
die er im Internet gestoßen war. Das Haus war eines der letzten in der Straße. John
fuhr daran vorbei, warf einen Blick auf das unauffällige Einfamilienhaus mit kleinem
Garten und museumsreifer Hollywoodschaukel. Nachdem er gewendet hatte, parkte er
den Fiesta am Bordsteinrand – an einer Stelle, von der aus er beste Sicht auf das
Haus hatte. Auch auf das Lehener Bergle und bis nach Osten in Richtung Rieselfeld.
Der Himmel hatte sich geschwärzt, die Wolken waren noch stärker ineinander verkeilt.
Als John ein Stück weit das Fenster herunterkurbelte, roch er den Regen, der in
der Luft lag. Im dunklen Hintergrund erhoben sich verschwommen die höchsten Gebäude
der Freiburger Stadtmitte und der Schwarzwald.
In dem Einfamilienhaus
war eines der Fenster im Erdgeschoss erleuchtet. Kein Mensch auf der Straße, eine
triste Stille stülpte sich über Lehen. Laura hatte beharrlich geschwiegen, und John
fragte sich beiläufig, wie lange sie ihre Ungeduld noch im Zaum zu halten vermochte.
Er schaltete das Radio ein und hielt ihr seine Kaugummipackung hin.
Sie zog
eine Schnute und schüttelte den Kopf.
»Sorry,
etwas anderes kann ich dir leider nicht anbieten.« Ihm wurde klar, dass er wenigstens
eine Flasche Wasser und Kekse aus seiner Wohnung hätte mitnehmen sollen. Es wurde
wirklich Zeit, dass er in seinem Job eine gewisse Routine entwickelte. Nur wie –
ohne Aufträge?
Dann war
Lauras Geduld schließlich erschöpft. Sie schnaufte genervt, schaltete das Radio
aus und drehte sich halb zu John herum. Ihre Augen stachen durch das Halbdunkel
im Wagen.
Er sah ungerührt
zu dem Haus. »Doch einen Kaugummi?«
»Soll das
jetzt ewig so weitergehen? Dass wir hier sitzen und dieses traute Heim, Glück allein
anstarren?«
»Deshalb
wollte ich ja, dass du bei mir zu Hause bleibst. Beziehungsweise bei Tante Ju.«
»Wer wohnt
da?«
Er verlagerte
sein Gewicht im Fahrersitz. »Das gehört eben zu meinem Job. Ich habe da so eine
Ahnung und möchte ein bisschen Zeit opfern, um mir ein Bild machen zu können.«
»John, wer
wohnt da?«
»Soviel
ich weiß
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