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Schmetterlingstod: Kriminalroman (German Edition)

Schmetterlingstod: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Schmetterlingstod: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Becker
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Kumpel?«
    John trug
ihn ins Nebenzimmer, um ihn zurück in den Käfig zu setzen. »Ein echter Rock-’n’-Roller
ist nicht so leicht einzuschüchtern, was?« Elvis hockte sich auf die Stange und
vergrub den Schnabel in der Futterschüssel – ein gutes Zeichen. Währenddessen hatte
John sich das Handy gegriffen und Lauras Nummer gewählt. Zweimal tutete es, dreimal,
viermal, dann wurde die Verbindungsaufnahme abgebrochen. »Hm«, brummte John. Er
ging nach drüben ins Büro und stellte sich ans Fenster. Gedankenversunken betrachtete
er die übliche Menschenmenge. Erneut wählte er Lauras Nummer – erneut nur das Tuten.
»Hm.«
    Und jetzt?
Die Polizei anrufen und den Schaden im Büro melden? Er fühlte sich irgendwie leer
und müde. Zu allem Überfluss verursachte der Kiefer wieder größere Schmerzen – gewiss
aufgrund des Kauens. Beiläufig erfassten Johns Augen einen Mann, der sich mit schleppendem
Gang durch das Gedränge auf der Kaiser-Joseph-Straße wühlte. Wuchtig der Schädel,
breit die Schultern unter dem Pelzbesatz der Jacke, das Kinn tief gesenkt, das Haar
wirr.
    »Dich habe
ich ja schon fast vergessen«, sagte John.
    Dann lief
er los, vom Büro ins Treppenhaus, die Stufen nach unten, immer drei auf einmal.
Heute entkommst du mir nicht!, dachte er. Ich will endlich wissen, wer du bist.

9
Gummibärchen
     
    John Dietz glitt durch die Menge,
den Hinterkopf, der über die meisten Passanten hinausragte, fest im Visier. Etwas
war an diesem Fremden, an diesem traurigen Bären, wie ihn John einmal genannt hatte.
Und dieses Etwas ließ John keine Ruhe.
    Schritt
für Schritt schob er sich näher an den Hünen heran, der das Martinstor passierte,
um anschließend links in die Gerberau einzubiegen. Auch hier waren viele Leute unterwegs.
Der traurige Bär schleppte sich ohne Eile und offenbar zudem ohne Ziel über das
Kopfsteinpflaster. Einmal warf er einen jähen Blick zurück, als spürte er den Verfolger
instinktiv. John blieb wachsam. Was hast du eigentlich vor?, fragte er sich. Wie
würde er ihn ansprechen? Die Entschlossenheit von eben hatte sich aufgeweicht.
    Sie kamen
am Feierling Biergarten vorbei, und der rätselhafte Mann mit dem Parka lief immer
weiter. Nach wie vor hatte John den Eindruck, dass der Fremde völlig ziellos unterwegs
war. Erst in der Fischerau hielt der Mann inne. Der Menschenstrom wie abgeschnitten,
eine tiefe Ruhe. Reglos stand er einige Sekunden da, als würde er die Einsamkeit
genießen. Er betrat eine der kleinen Brücken, lehnte sich schwer gegen das Eisengeländer
und starrte hinab auf den Gewerbebach.
    Langsam
näherte sich John dem Hünen – und noch immer hatte er keine Ahnung, was er zu ihm
sagen würde. Etwa einen Meter von ihm entfernt trat auch er an das Geländer, ohne
sich allerdings darauf zu stützen. Seine Haltung blieb angespannt. Der Fremde drehte
den Kopf und blickte in Johns Gesicht. Überraschung machte sich darin bereit, der
Impuls loszurennen, erneut die Einsamkeit zu suchen – doch dann erschlaffte der
massige Oberkörper. Der Mann war nicht nur traurig, er war verzweifelt, geschlagen,
zutiefst enttäuscht. Er schien einfach zu erschöpft zu sein, um fortzulaufen – nicht
wie an jenem Abend nach der Schlägerei, als John ihm beigestanden hatte.
    »Hallo«,
sagte John, und der schlichte Gruß erschien ihm ebenso absurd wie die gesamte Situation.
    Der Mann
betrachtete ihn mit diesen traurigen Augen. Der Mund unter dem buschigen, verschmutzten
Schnurrbart blieb geschlossen.
    »Verstehst
du mich? Sprichst du Deutsch? Do you speak English?«
    Wiederum
keine Antwort.
    »Ich heiße
John Dietz.« Absurd, in der Tat. Mehr als absurd. »Ich: John. Und du? Dein Name?«
    »Pavel.«
    »Ach?« John
horchte auf. »Wie der Koch im Krügle.« Er schob die Hände in die Hosentaschen. Die
Situation war merkwürdig, bedeutete aber zumindest keine Gefahr. Nichts an dem Fremden
strahlte noch Gewalttätigkeit aus. »Du bist Tscheche? Tschechisch?«
    Ein zögerndes
Nicken. »No ano, č esky.« Also
kein Russe, wie die Mitarbeiter der Zeitung vermutet hatten. Der Mann roch nach
Schweiß, nach ungewaschener Kleidung. Die schwarzgrauen Haare hingen ihm in die
Stirn. Aber jetzt bei Tageslicht, aus direkter Nähe, sah er nicht aus wie der Verrückte,
als der er beschrieben worden war.
    »Du hast
harte Tage hinter dir, was?« John winkte ihm aufmunternd zu. »Na los, komm mit.«
    Der Mann
beäugte ihn argwöhnisch.
    »Komm mit«,
bestärkte ihn John. »Keine Sorge, Pavel. Ich habe da

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