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Schmetterlingstod: Kriminalroman (German Edition)

Schmetterlingstod: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Schmetterlingstod: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Becker
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Oder nicht?
    Übersehen,
übersehen, übersehen. Aber was?
    Unbewusst
war John in die Habsburgerstraße eingebogen, und je weiter er ihr folgte, desto
konzentrierter wurde er. Er schaute nach vorn zu dem Studentenwohnheim. Felicitas
Winters letzte bekannte Adresse. Und er sah die Tankstelle, hinter der sich der
Supermarkt befand, auf dessen Parkplatz Piet Eisenring einmal ein Auto hatte abstellen
müssen.
    Wiederum
geradezu unbewusst steuerte John den Fiesta auf das Parkplatzgelände und fuhr in
die erstbeste Lücke. Er hatte das Gefühl, aussteigen und ein paar Schritte gehen
zu müssen. Die klare Luft einzuatmen, tat ihm gut, und sein Blick suchte automatisch
den großen hässlichen Block auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Unentwegt spulte
er die vergangenen Tage in seinem Kopf wie einen Film ab. Das Gespräch in der Uni
mit diesem Professor Trebitsch, die Fragen in dem Wohnheim dort drüben. Der Hausmeister,
die hübsche blonde Studentin, dieser überhebliche südamerikanische Typ in Joggingklamotten,
der John als ›Onkelchen‹ bezeichnet hatte. Und plötzlich war seine Kehle trocken.
Er atmete ein, er atmete aus. War das endlich der Punkt, an dem er ansetzen konnte?
Der Punkt, an dem er die Hintermänner dieser ganzen verrückten Geschichte dazu bringen
konnte, ihre Deckung aufzugeben?
    Gut, es
war möglich, dass er sich täuschte. Sicher, keine Frage. Aber auf einmal brannte
er förmlich darauf, in dieses Wohnheim zu stürmen und sich Gewissheit zu verschaffen.
Er war dabei, die Straße zu überqueren, als er sich wieder bremste. Was wäre, wenn
es erneut zu einer Situation wie der mit Piet Eisenring käme? Und diesmal stünde
ihm jemand gegenüber, der sich durch die Mündung einer Pistole mit Sicherheit nicht
so rasch aus der Fassung bringen ließ. Nein, er musste besser vorbereitet sein.
Wie konnte er jemanden zwingen ¼ ? Seine Gedanken überschlugen sich. Etliche Ideen stürmten zugleich
auf ihn ein, und natürlich war es die verrückteste, bei der er hängen blieb.
    John rannte
zum Auto. So schnell es Verkehr und der eigene Verstand zuließen, fuhr er die Habsburgerstraße
zurück in Richtung Stadtmitte. Er umkurvte die Fußgängerzone, um dann in der Nähe
des Schwabentors vor einem Erotikshop haltzumachen. Das für seinen Geschmack recht
kuriose Warenangebot beinhaltete zum Glück das, was er suchte – wenn auch mit einer
ungewünschten Abweichung. Doch er hatte das drängende Gefühl, ohnehin zu viel Zeit
verloren zu haben. Er bezahlte den Artikel und steckte ihn in die Jackentasche.
Du bist verrückt, Johnny, schüttelte er den Kopf über sich selbst. Und du bist wirklich
der am wenigsten ernst zu nehmende Detektiv der Republik.
    Er raste
dieselbe Strecke zurück, um den Fiesta erneut auf dem Supermarktparkplatz abzustellen.
Mit einem flauen Gefühl im Magen stand er Sekunden darauf vor dem Studentenwohnheim
und betätigte immer wieder sämtliche Klingelknöpfe. Genervte, neugierige, verschlafene
Stimmen meldeten sich. Zum Glück ertönte auch das Summen und John glitt ins Innere.
Wie bei seinem ersten Besuch nahm er die Treppe.
    Im vierten
Stock blieb er stehen. Stille. Schlechte Luft. Verschlossene Türen. Auf eine davon
ging er zu. Vorsichtig legte er das Ohr an das Holz. Nichts zu hören. Unentschlossen
näherte er sich der einzigen Tür, die lediglich angelehnt war. Er schlüpfte durch
sie hindurch und befand sich in der Küche, von der es eine auf jeder Etage gab.
Du warst ein bisschen voreilig, kritisierte er sich. Nicht bloß ein bisschen.
    Weiterhin
unentschlossen, ließ er sich auf einem der Stühle nieder. Und jetzt? Es konnte sein,
dass er bis zum Jüngsten Tag warten musste. Es konnte sein, dass er nie auftauchte.
Es konnte sein, dass er völlig falsch lag. Bloß nicht darüber nachdenken, Johnny.
Und Laura ließ nach wie vor nichts von sich hören.
    Die Zeit
schlich dahin. Hin und wieder Schritte im Treppenhaus. Stille, Ruhe, Lautlosigkeit,
die unerträglich an den Nerven zerrte. Einmal stand eine Studentin vor ihm, die
ihn verdattert anstarrte, aber keinen Ton äußerte. Sie schmierte sich ein Brot,
summte ein Lied, das sie per Kopfhörer genoss, las in Computerausdrucken – alles
gleichzeitig. Bald darauf tauchte ein Asiat auf, lächelte John höflich an und holte
sich eine mit Namensaufkleber versehene Flasche Apfelsaft. Und die Zeit schlich
weiterhin unendlich langsam voran. »Vergiss es!«, sagte sich John, und seine Stimme
verlor sich in der alles beherrschenden Ruhe.

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