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Schmidt Liest Proust

Schmidt Liest Proust

Titel: Schmidt Liest Proust Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Schmidt
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Film gab, in dem er nicht fiel.
    Der aufdringliche Journalist, der das häßliche Entlein in Paris (!) verführt, war der ermordete Callboy aus »L.A. Confidential«. Man hat die ganze Zeit gegrübelt, sich kaum auf den Film konzentrieren können, und erst ganz am Ende wurde man von seinem Gedächtnis erlöst. Und man fühlte sich deswegen, als hätte man etwas geleistet, dabei hat man nur Informationen vernetzt.
    Die Welt der Guermantes, S. 650–672
    Der Abend bei Madame de Guermantes ist zwar langweilig, aber ganz dialektisch schiebt es Marcel auf sich, denn ohne ihn als » hemmenden Zeugen «, wäre sicher alles so schön, wie er es sich immer vorgestellt hat. Erst sein Aufbruch würde den Gästen erlauben, » nachdem der Profane gegangen war, endlich ihre geheimnisvolle Gemeinschaft zu konsolidieren «. Das ist sehr aufmerksam von ihm, aber in Wirklichkeit leiden gerade diejenigen, derentwegen sich alle über Nichtigkeiten unterhalten müssen, am wenigsten unter dem schwachen Niveau.
    Im Vestibül wird Marcel peinlicherweise dabei beobachtet, wie er seine » snowboots « überzieht, amerikanische Gummischuhe. Der Herzog persönlich hilft ihm schließlich hinein. Im Wagen denkt Marcel über diesen speziellen, flüchtigen Rausch nach, den einem die Gesellschaft anderer Menschen verschafft. Man weiß, daß das Bedürfnis, sie zu sehen, ihre Abwesenheit nicht überleben wird, ohne daß dieses Wissen das Bedürfnis schwächen würde: » Ihre Zuneigung überlebt nicht den Überschwang, der sie diktiert hat. « Die Herzogin löst sogar manchmal eine Blume von ihrem Kleid und schenkt sie jemandem, mit dem sie gern einen noch längeren Abend verbracht hätte, » wobei sie doch ein melancholisches Gefühl dafür besaß, daß eine solche Verlängerung zu nichts anderem hätte führen können als zu eitlen Gesprächen «.
    Dem Rausch der Gesellschaft folgt Melancholie, weil alles daran künstlich ist. Es gibt immer zwei Kräfte » die eine steigt aus uns selber auf, sie entströmt den Erlebnissen unseres Inneren, die andere kommt uns von außen zu «. Die eine bringt schöpferischen Menschen Freude. » Die andere Strömung, die auf uns die Bewegtheit zu übertragen versucht, von der Personen außer uns bestimmt werden, ist nicht von Genuß begleitet; doch können wir ihr rückwirkend etwas Ähnliches hinzusetzen in Gestalt eines Rausches, der so künstlich ist, daß er sehr schnell zu Überdruß und zu Trauer wird; daher der trübe Blick so vieler Weltleute, darum bei ihnen auch so viele nervöse Zustände, die zuweilen bis zum Selbstmord führen. « Ich hatte immer, wenn ich einmal in flüchtigen Kontakt mit Menschen trat, die von äußerem Erlebnis zu äußerem Erlebnis pilgern, das Gefühl, man flöße ihnen, als langweiliger, zurückgezogen lebender, dabei aber konzentriert arbeitender Mensch, eine ähnliche melancholische Bewunderung ein, wie wir sie angesichts eines Holzfällers empfinden, der sein Leben im Wald verbringt, oder eine Sehnsucht, wie wenn wir mitten in der Stadt den Geruch von Mist wahrnehmen, der an eine Welt erinnert, in der alles gesund und die Nerven zuverlässig zu arbeiten scheinen wie stabile Überlandleitungen. Aber diese Bewunderung bedeutet nichts, die nach außen orientierten Menschen wollen mit einem am Ende ebensowenig tauschen wie mit den Tieren im Zoo.
    Bei Charlus läßt man Marcel eine halbe Stunde im Salon warten, dann wird er zu ihm geführt. Charlus liegt auf dem Kanapee und macht ihm eine Szene. » [I]ch würde vielleicht ein wenig den Sinn der Worte forcieren, was man aus bloßer Selbstachtung schon nicht tun soll, selbst jemandem gegenüber nicht, der ihren Wert nicht kennt, wenn ich Ihnen sagte, ich hätte für Sie Sympathie gehabt. «
    Er bietet ihm keinen Stuhl an, wie er es überhaupt liebt, » den König zu spielen – sich auf einem Fauteuil im Rauchzimmer auszustrecken und die Gäste um sich herum stehen zu lassen «. Als Marcel sich setzen darf, erkennt er den Louis-Quatorze-Sessel nicht und sinkt dadurch weiter in Charlus’ Achtung: » Eines Tages werden Sie die Knie von Madame de Villeparisis für den Abtritt halten und wer weiß was darauf tun. «
    Was hat Marcel angestellt? Charlus macht nur beleidigte Andeutungen über einen » Verrat «. Dazu kommt, daß er ihm in Balbec zum Abschied ja ein Buch von Bergotte geschenkt hatte und Marcel darauf das Vergißmeinnichtmotiv aus der Kirche von Balbec nicht aufgefallen ist. » Gab es eine deutlichere Art, Ihnen zu verstehen

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