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Schmidt Liest Proust

Schmidt Liest Proust

Titel: Schmidt Liest Proust Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Schmidt
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lieben «. Ein Plädoyer gegen Aufrichtigkeit, die Liebe ist kein gemeinsames Schicksal, sondern eine komplizierte Kampfsportart.
    Ein schlimmes Stadium von Eifersucht hat man erreicht, wenn man sich nachträglich über die Genüsse ärgert, die einem eine Frau ermöglicht hat, weil einem klar wird, daß der nächste sie auch bekommen wird. Wenn es ihm gelingt, an etwas anderes zu denken, und Freunde ihn wieder an sie erinnern, » so genügte manchmal ein Wort, daß sein Gesicht einen veränderten Ausdruck bekam, wie das eines Verwundeten, dessen schmerzendes Glied ein Ungeschickter gedankenlos berührt «.
    Wenn Odette lügt, kann sie tiefbetrübt aussehen wie Botticellis Frauengestalten: » Sie hatte in diesem Augenblick das niedergeschlagene, kummervolle Gesicht, das diesen Frauen das Aussehen gibt, als laste ein Schmerz auf ihnen, der zu schwer für sie ist, auch wenn sie nur einfach das Jesuskind mit einem Granatapfel spielen lassen oder zuschauen, wie Moses Wasser in einen Trog schüttet. «
    Unklares Inventar:
    – Coterie.
    Verlorene Praxis:
    – Die Bettvorhänge zuziehen.
    – Vor der Teestunde noch ein paar Briefe schreiben.
    – Durch die Art seines Daseins einen Bestand an Gewohnheiten und Leidenschaften zufriedenstellen, die man seinen verflossenen Jahren entnommen hat.
    17. Do, 3.8., Odessa, Uspenskaja 13
    Was man im Russischunterricht erfährt: Gogol soll nach einer enttäuschenden Ehe sein Leben lang vergeblich versucht haben, Mönch zu werden. Außerdem besaß er ein zweiflügliges Anwesen, um, wenn Gäste kamen, heimlich im anderen Flügel verschwinden zu können. Er litt unter Depressionen und tagelangem, lethargischem Schlaf. Gerüchteweise soll er lebendig begraben oder beim Abnehmen der Totenmaske erstickt worden sein. Ein neuer Eintrag in meiner Liste enttäuschender Todesarten.
    In Swanns Welt, S. 335–355
    Die folgenden zwanzig Seiten werfen die Frage auf, was man eigentlich verpaßt, wenn man Gogols Beispiel folgend Mönch wird. Man zieht ja auch nicht mehr freiwillig in den Krieg als gehöre das zur Ausbildung, warum läßt man sich also noch mit Frauen ein? Das Eifersuchtsszenario, das Proust beschreibt, hat man bis ins Detail erlebt, erstaunlich, daß Proust das vor neunzig Jahren schon so genau voraussehen konnte. Alles hat sich so abgespielt, nur daß man heute nicht mehr » nach einem Telegraphenbüro « sucht, sondern eine SMS schreibt.
    Nach einem Ausflug steigt Odette nicht in Swanns Wagen, sondern zu den Verdurins, wo neben Monsieur de Forcheville noch Platz ist. Swann geht zu Fuß durch den Bois und spricht laut mit sich selbst. Er verflucht die Verdurins und stellt fest, wie dumm und gewöhnlich Odette ist und daß sie ihn nicht verdient. Die Welt sollte so züchtig sein, wie von Platon gefordert. Als Odette das nächste Mal in eine minderwertige Oper gehen will, beleidigt er sie auf so sublime Weise, daß sie es gar nicht bemerkt. Immerhin: » Wenn ihr auch der eigentliche Sinn dieser Rede entging, so begriff sie doch, daß sie offenbar zu jener Art von Vorhaltungen oder Szenen gehörte, aus deren Vorwürfen und Beschwörungen sie bei ihrer Übung im Umgang mit Männern, ohne auf Einzelheiten achtzugeben, zu schließen gelernt hatte, daß diese sie ihr nicht halten würden, wenn sie nicht verliebt in sie wären, und daß sie selbst, gerade weil sie verliebt in sie waren, nicht nötig hatte, darauf einzugehen, denn sie waren es bestimmt hinterher nur noch mehr. « Sie ist sozusagen ein Techtelmechtelprofi, es ist ja auch ihr Job. Die Liebe zählt zu den Künsten, in denen man erfolglos bleibt, wenn man seine Emotionen nicht zu kontrollieren weiß.
    Neuerdings wird Swann zu den Ausflügen der Verdurins nicht mehr eingeladen. Dann » versenkte er sich in den berauschendsten Liebesroman, den es gibt, den Fahrplan, der ihn über die Möglichkeiten, am Nachmittag, am Abend, am Morgen sogar in ihre Nähe zu gelangen, unterrichtete! « Er hat schließlich ein Recht darauf zu fahren, wohin sie ihn nicht mitgenommen hat! Sollte er ihr dort über den Weg laufen, würde er sie natürlich ignorieren, sie soll nicht denken, er spioniere ihr nach.
    Während er wacht und auf die vorbeirollenden Wagen lauscht, falls sie spät heimgekommen sein und ihn noch besuchen sollte, ist sie schon am Nachmittag eingetroffen, allein ins Theater gegangen und liegt längst im Bett. Ihn zu benachrichtigen hatte sie nicht für notwendig gehalten.
    » [I]n manchen Augenblicken sagte er sich dann, daß es

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