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Schmidt Liest Proust

Schmidt Liest Proust

Titel: Schmidt Liest Proust Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Schmidt
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Verdurins: geschenkt.
    Marcel richtet es bei der Rückfahrt von den Gesellschaften so ein, daß er im Wagen neben Albertine sitzt, » denn wir beide konnten so mancherlei in einem dunklen Wagen tun, in dem das Holpern bei der Abwärtsfahrt uns im übrigen entschuldigte «. Von mir ist er sowieso entschuldigt, wenn er sich an sie klammert, das ist nicht das Problem.
    Unklares Inventar:
    – Krätzer. Périer, Comaglia, Dehelly (Schauspieler).
    Verlorene Praxis:
    – Weine chambrieren lassen.
    – Als Hoteldirektor mit einem Blick veranlassen, daß eine Korkscheibe unter den Fuß eines Tisches geschoben wird, der nicht ganz fest steht.
    – Als Prinzessin von Geblüt die Herzoginnen zwar hinausgeleiten, jedoch nur bis zur Mitte des nächstfolgenden Zimmers.
    – Sich die Puffen überkämmen.
    Selbständig lebensfähige Sentenz:
    – » [E]r kannte alles, was Paris betraf, bis ins Detail, wie nur Leute, die selten dorthin kommen. «
    – » [E]s gibt etwas, was noch schwieriger ist als eine ärztliche Vorschrift strikt zu befolgen, das ist, es anderen nicht auch aufzwingen zu wollen. «
    119 . So, 19.11., Berlin
    Vergangenheit und Gegenwart, wer kann das schon noch unterscheiden? So lesen sich meine Aufzeichnungen vom 20.11. aus den letzten Jahren:
    2002
    Im Fernsehen ein Toilettenmann von Hagenbeck in Hamburg. Er trinkt ein Glas Wasser aus seiner Kloschüssel, um zu beweisen, wie sauber es bei ihm ist.
    2003
    18.00 Uhr Sauna, drei Gänge, nach dem zweiten ein Budweiser.
    2004
    Zug von Chemnitz nach Berlin. Mir gegenüber hört eine Frau ziemlich laut ihre neue Wolfgang-Petry-CD. Mein ungläubiger Blick wandert über dieses Geschöpf. Auf ihrer Trainingsjacke steht »Wolfgang Petry«, sie hat ein Wolfgang-Petry-T-Shirt an, und ihre Sauerkrautlocken sehen bestimmt auch nicht zufällig so aus. Nur Freundschaftsbänder trägt sie nicht. Sie wirkt glücklich, wie sie dort mit geschlossenen Augen der Musik lauscht. Vielleicht ist sie ja glücklich. Kommt es dabei zu anderen chemischen Reaktionen im Gehirn als bei einem Weinkenner, der den Wein seines Lebens verkostet?
    2005
    Sehnenscheidenentzündung vom ersten Mal Kickern in den letzten zehn Jahren. Telefonieren mit vier Orthopäden, hier müßte ich drei bis vier Stunden warten, dort ginge es nächsten Montag. Ist das nicht unterlassene Hilfeleistung? Alles, weil ich nicht privat versichert bin. In der »Marietta-Bar« unter Schmerzen Notizen. Jedes Wort ein Bekenntnis zum Geist und ein Aufschrei gegen die Diktatur des Leiblichen. Zudem (auch vom Kickern?) flüssiger Stuhl. So habe ich das nicht gegessen.
    Sodom und Gomorra, S. 624–644
    » Oft, wenn Monsieur de Cambremer mich auf dem Bahnhof anrief, hatte ich bei Albertine die Dunkelheit genutzt, etwas mit Mühe freilich, da sie sich ein wenig sträubte und Bedenken trug, ob die Finsternis auch vollkommen sei. « Was heißt das nun wieder, » bei ihr die Dunkelheit genutzt? « In einem Buch mit dem Titel »Sodom und Gomorra« ist das doch eher mager.
    Die ständigen Belehrungen Brichots über die Etymologie der Ortsnamen bringen ernüchternde Erkenntnisse: »Honfleur« kommt nicht von » fleur « wie Blume, sondern » fleur « wie Fjord, also dem normannischen Wort für »Hafen«, und aus »Briqueboeuf« verschwindet der Ochse, wenn » boeuf « von » budh « kommt, das für »Hütte« stehen soll. Wird mit den die Phantasie anregenden Ortsnamen irgendwann auch das Vergnügen an den Orten schwinden?
    Als einmal Saint-Loup in ihre Kleinbahn zusteigt, will Marcel Albertine und ihn aus Eifersucht keine Sekunde allein lassen und kann deshalb nicht aussteigen, um Blochs Vater kurz zu begrüßen, was ihm Bloch, der ihn darum gebeten hatte, nie verzeihen wird. So kombiniert das Leben in verzwickter Weise die Umstände und zwingt einen dazu, ein Mißverständnis nicht aufzuklären, um einen Freund nicht noch mehr zu verletzen, indem man zugibt, dass es Absicht gewesen war.
    Dafür ist Charlus auf den ersten Blick von Bloch angetan und fragt ganz unbeteiligt: » Wohnt er in Balbec? « Für diese so stark wie möglich im Ton der Teilnahmslosigkeit geäußerte Frage müsse es im Französischen ein eigenes Satzzeichen geben: » Allerdings würde ein solches Zeichen wohl fast ausschließlich für Monsieur de Charlus Verwendung finden. « Und das ist noch keinem Autor gelungen, seiner Sprache ein neues Satzzeichen aufzuzwingen.
    Manchmal wartet Monsieur de Cambremer am Bahnhof und versucht, Marcel für ein paar Tage zu ihnen nach

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