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Schmidt Liest Proust

Schmidt Liest Proust

Titel: Schmidt Liest Proust Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Schmidt
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erfahren. Schade, daß einen die guten Nachrichten immer erst mit zwanzig Jahren Verspätung erreichen.
    Den Vorwurf wiederkäuend, ein Egozentriker zu sein, enttäuscht über die Grobheit der alten Freundin, stehe ich auf der Rykestraße (deren Anblick nach den Renovierungen für mich nur zu ertragen ist, weil ich sie noch vor mir sehe, wie sie früher war), neben dem Elefanten, den meine Tochter so gerne hat, schiebe das Fahrrad an den beiden nackten Männerskulpturen vorbei (»Ein Papa! Ein Papa!«) und bin emotional auf dem Niveau eines Siebzehnjährigen, nur daß ich mir den Alkohol inzwischen besser einteilen kann und deshalb immer nüchtern bleibe. Außerdem ist die Synagoge jetzt nachts bewacht.
    Die Gefangene, S. 341–362
    Noch einmal Betrachtungen über die identitätsstiftende Qualität des Gedächtnisses. Jener Teil der Welt, der » Zuflucht in unserer Seele « findet, » die durch ihn einen Wertzuwachs erhält «, weil Gegenstände, Menschen, Häuser sich mit ihr vermischen und sich alles » in jenen durchscheinenden Alabaster unserer Erinnerungen verwandelt, dessen Farbton wir nicht vermitteln können, da nur wir ihn sehen «. Und sieht man etwas wieder, sieht man eben mindestens zwei Rykestraßen und fragt sich, welche realer ist, » wir selbst aber vermögen diese Dinge in uns nicht ohne eine gewisse Ergriffenheit zu betrachten, wenn wir daran denken, daß ganz und gar von der Existenz unsres Bewußtseins das Weiterleben – noch für eine gewisse Zeit – des Widerscheins längst erloschener Lampen und des Duftes von Weißbuchenhecken abhängig ist, die nie mehr blühen werden «. Schon deshalb muß man jeden Menschen achten, weil er das Speichermedium solcher nur noch in ihm lebendigen Wahrnehmungen ist.
    Professor Brichot gedenkt auf diese Art des alten Salons der Verdurins, vor ihrem Umzug in die neue Wohnung. Seine Erinnerung setzt dem neuen Salon » in den Augen des Professors eine Schönheit hinzu, die er für einen Spätergekommenen aus sich selbst nicht zu entfalten vermochte «. Er sieht ja auch genau, welche Möbelstücke schon damals da waren, so daß der neue Salon für ihn durchsetzt ist von Teilen des alten. (So geht mein Vater durch meine Wohnung und interessiert sich nur für die Sachen, die noch von ihm stammen. Aber ich bin ja genauso, wenn ich durch Deutschland gehe.)
    Der Abend neigt sich dem Ende zu, der Baron möchte die Unterhaltung aber noch in die Länge ziehen, er gehört zu den Menschen, die, da sie » ihrer Intelligenz keine andere Betätigungsmöglichkeit eröffnen als die der Konversation, das heißt eine nur sehr unvollkommene Betätigung, auch nach in Gesellschaft verbrachten Stunden unbefriedigt bleiben und sich immer begieriger an den erschöpften Zuhörer heften «. – Bis der die Gläser füllen geht …
    Um mit Albertine wenigstens so lange zusammenzusein, bis er seine Seelenruhe wiedergefunden hat, faßt Marcel den Plan, jeder Anwandlung bei ihr, mit ihm zu brechen, zuvorzukommen und vorzugeben, selbst mit ihr brechen zu wollen.
    Fast drängt sich eine neue Rubrik »Verstorben« auf, denn jetzt ist plötzlich auch Elstir tot, und wenige Seiten später erfahren wir dasselbe über Madame de Villeparisis. Jeweils ohne erzählerische Ausbeute, abgesehen vom Effekt der schockierenden Beiläufigkeit, mit der vermeldet wird, daß so gute Bekannte uns plötzlich verlassen haben sollen.
    Unklares Inventar:
    – Die Philosophen von Couture, Leute » von der Art eines Vaquerie oder Meurice «, der von Leverrier entdeckte Planet.
    Katalog kommunikativer Knackpunkte:
    – Er ließ sich am Flügel nieder » mit lächelndem Brauenrunzeln, einem in die Ferne schweifenden Blick und leichtem Verziehen des Mundes (was alles zusammen er für ›die‹ Künstlermiene hielt) «.
    – » Sowie Brichot angefangen hatte, über den guten oder schlechten Ruf von Männern zu sprechen, hatte Monsieur de Charlus auf seinem Antlitz jene besondere Art von Ungeduld gezeigt, die man bei einem Experten auf medizinischem oder militärischem Gebiet konstatiert, sobald Laien, die nichts davon verstehen, törichte Meinungen über gewisse therapeutische oder strategische Einzelheiten zu äußern sich unterfangen. «
    Erstaunliche Behauptung:
    – » Ich hatte von meiner Großmutter die Eigenschaft geerbt, in einem Maße, das leicht zu Mangel an Würde hätte führen können, frei von Eigenliebe zu sein. «
    Verlorene Praxis:
    – Ein Fis spielen, bei dem Enesco, Capet und Thibaut vor Neid

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