Schmidt Liest Proust
nicht mehr ganz ergebnislos gewesen zu sein.
Ebenso überraschend, daß nach Cottard nun auch Elstir aufersteht, um die beiden bei der Innenausstattung einer eventuell zu kaufenden Jacht zu beraten. So ein gottgleicher Umgang mit dem Romanpersonal verwundert doch etwas.
Und als drittes ist zu bemerken, daß ein kompletter Gedanke aus einer Fußnote auf der gegenüberliegenden Seite im Text auftaucht, was die Fußnote überflüssig macht. Ich hoffe, es gibt darüber schon eine Doktorarbeit.
Etwas für meine Sammlung unnützen Wissens, also Wissens, das nicht mit anderem Wissen vernetzt ist: » Aber antikes Tafelsilber ist – da es in Frankreich zweimal eingeschmolzen wurde, zuerst nach dem Frieden von Utrecht, als der König selbst, dem seine großen Herren darin folgten, das seine opferte, dann 1789 – außerordentlich selten. «
Um Albertine die Gefangenschaft angenehmer zu gestalten, werden Kleider besorgt, die ihn an Venedig erinnern, wohin er ja angeblich ihretwegen nicht reisen kann. Dennoch war sie » nicht mehr die gleiche Albertine, weil sie nicht mehr wie in Balbec unaufhörlich auf ihrem Rad zur Flucht gerüstet schien « und » weil der Wind des Meeres nicht mehr ihre Kleider schwellte «. Jetzt war sie » zu einer beschwerlichen Sklavin geworden, von der ich mich am liebsten frei gemacht hätte «.
Albertine spielt ihm auf dem Pianola Stücke von Vinteuil vor, und er erklärt ihr im Gegenzug das Wesen der Kunst, das darin bestehe, » daß die großen Schriftsteller immer nur ein einziges Werk geschaffen oder vielmehr ein und dieselbe Schönheit, die sie der Welt bringen, gebrochen durch verschiedene Medien, uns vor Augen geführt haben «. Wichtigstes Beispiel ist Dostojewski, aber beim kurzen Streifzug durch die »Brüder Karamasow« beunruhigt mich, daß ich mich an fast nichts erinnere, wozu habe ich das Buch dann überhaupt gelesen? Vielleicht ja nur, damit sich mir der Ort fest einprägen konnte, an dem ich es gelesen habe. Ein winziges Zimmer in einem Haus auf dem Dorf, das vom Kachelofen schon fast ausgefüllt wurde, das Bett, in dem ich schon als Kind geschlafen hatte, schwer lastendes Winterdunkel, ein alter Wartburg, mit dem ich nur am Wochenende zurück nach Berlin fuhr, so daß meine Freundin sich leichter ihre Zeit zwischen mir und ihrem aktuellen Verehrer einteilen konnte. Das Gute war, daß ich nicht an Eifersucht litt, mir wurde eher eine Entscheidung abgenommen. Vielleicht sollte man immer nur Beziehungen mit Menschen führen, die man nicht richtig liebt, dann leidet man weniger unter diesen anscheinend unvermeidlichen Dreiecksgeschichten.
Schließlich wird der beglückende Geruch von altem Holz auf den Champs-Elysées erwähnt, und ich frage mich, ob mein Kollege, der neulich auf der Kastanienallee neben mir stehenblieb, um den Geruch von Holzkisten vor einem Obstgeschäft einzuatmen, mit dieser Geste nur Proust imitiert hat.
Unklares Inventar:
– Die Silberschmiedemanufaktur von Pont-aux-choux. Theaterdekorationen von Sert, Bakst und Benoist. Dogaresse.
Erstaunliche Behauptung:
– » Ich bin kein Romancier. «
Verlorene Praxis:
– Werke über die Silberschmiedekunst und die Echtheitszeichen der alten Ziseleure studieren.
– Nie so gut aussehen, wie wenn man schwarzen Samt mit Diamanten trägt.
– Über seine Miene wachen.
Selbständig lebensfähige Sentenz:
– » […] wobei ich nicht weiß, ob ich mich nun an seine Häßlichkeit gewöhnt oder seine Schönheit entdeckt hatte. «
– » Komm, kleines Mädchen, ich muß dich erst küssen, weil du dich noch so gut an meine Worte erinnerst; du darfst dann wieder zurück an dein Pianola. «
143 . So, 17.12., Berlin
Die als Trost gemeinte Versicherung, er werde eines Tages glücklich sein, ist für den Unglücklichen natürlich eine Beleidigung, weil sie die Aufrichtigkeit und Haltbarkeit seiner Gefühle in Frage stellt. Lieber verwandelt man sich in ein Mahnmal seiner Leiden und widmet sein Leben wie der letzte Überlebende eines Völkermords dem Gedenken an die mißachteten Gefühle. Die Tatsache, daß man allein durch die Zeit darüber hinwegkommen könnte, scheint die Empfindungen zu relativieren. Wie kann man ernsthaft verliebt gewesen sein, wenn man es irgendwann nicht mehr ist? Man sieht es vor sich, wie sie einen dann zufällig trifft und sagen wird: »Na, siehst du …«, in demselben Ton, wie die Mutter, wenn man seinen Widerstand gegen ein Kleidungsstück aufgegeben hatte. Man zieht es an und ist
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