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Schmidt Liest Proust

Schmidt Liest Proust

Titel: Schmidt Liest Proust Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Schmidt
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vielleicht sogar schon halb überzeugt, daß es ja wirklich nicht so schlimm aussieht, aber gegen dieses »Na, siehst du …« lehnt man sich noch einmal mit gespielter Gereiztheit auf. Man will einfach nicht glücklich sein mit dieser Schlaghose.
    Als könnte die Echtheit der Gefühle sie zum Einlenken bewegen. Ein Fußballtrainer muß ja auch gehen, wenn er »die Mannschaft nicht mehr erreicht«, egal ob seine Methoden modern sind und er der ideale Mann für den Verein ist. Man sollte nicht warten, bis man entlassen wird. Aber wie kann man das einseitige Verhältnis beenden und sie gleichzeitig durch die übermenschliche Anstrengung beeindrucken, die dieser Schritt bedeutet? Daß man dazu fähig war, scheint ja zu beweisen, daß alles nicht so dramatisch gewesen ist, ein Widerspruch in sich. Man kann sich ja auch nicht entscheiden, nicht mehr krank zu sein. Manchmal ist man aber so verrückt zu denken, eine Krankheit könnte einem Gerechtigkeit verschaffen. Ein hartnäckiger Husten wäre das mindeste. Zu oft ist man als Hypochonder belächelt worden, endlich ist der Beweis erbracht, daß man nicht übertrieben hat. Aber selbst, wenn man aus Liebe sterben würde, würde sie einen deshalb nicht lieben, sondern im Grunde erleichtert sein.
    Man könnte die letzte SMS, die man von ihr erhalten hat, und von der man sich immer noch eine Wende erhofft, einfach ungelesen aufbewahren. Wozu soll man sich vergewissern, daß sie nichts Hoffnungsvolles enthält? Solange man sie nicht liest, kann sie ja alles enthalten. Also warum dann nicht die vagen, unbegründeten Hoffnungen auf das feste Fundament einer nicht gelesenen SMS stellen? Man könnte dann sein Leben mit der Hoffnung verbringen, daß sie doch noch zur Vernunft gekommen ist, daß man eben nur leider nie davon erfahren hat.
    Wie kann man es überwinden, ohne damit seinen Zustand zu verraten wie ein Renegat? Warum erntet immer nur derjenige Bewunderung, der seinen Überzeugungen treu bleibt, während der Reformwillige vermeintlich Schwäche zeigt? Der anästhesierende Einfluß der Gewohnheit, ist er nicht in Wirklichkeit ein Geschenk des Himmels? Warum wird er dann so selten gewürdigt? In der Kunst widmet man sich immer nur dem Ausnahmezustand, warum gibt es so wenig Literatur über die segensreiche Macht der Gewohnheit?
    Die Gefangene, S. 462–482
    Manchmal spielt Albertine auch Rameau oder Borodin, und er fühlt sich dann entweder ins achtzehnte Jahrhundert versetzt, oder es breitet sich für ihn auf den Wänden des Zimmers die östliche Steppe aus, » in der alle Klänge in der Unendlichkeit der Entfernungen und der weichen Dämpfung durch den Schnee ersticken «. Komponiert man eigentlich anders, wenn man in einem Land lebt, wo Geräusche im Schnee ersticken? Kann man die Räume und Gerüche, das Klima und die akustischen Verhältnisse ihrer Zeit aus den Kompositionen von Beethoven oder Bach extrahieren?
    Und da sitzt sie, » ein gezähmtes Wild, ein Rosenstock, dem ich Stab und Stütze, das Spalier gleichsam, lieferte, an dem sein Leben sich festranken konnte «. Es folgt das Hohelied des Marcel auf seine Freundin Albertine: » Ihre Schultern, die ich immer nur herabhängend und schmollend weggewendet gesehen hatte, wenn sie die Golfschläger heimtrug, lehnten sich jetzt an meine Bibliothek. « Oh wie schön das aussehen muß! Eine an eine Bibliothek gelehnte Golfspielerin! Ihre Beine, die » während ihrer ganzen Kindheit die Pedale eines Fahrrads bedient haben mochten «, stecken in den Schuhen, die er ihr herstellen lassen hat. Was sie natürlich auch nicht endgültig zu seinem Besitz macht, aber es ist nur konsequent für den Liebenden, über die Kleidung der Geliebten bestimmen zu wollen. Wie fühlt sich eigentlich Karl Lagerfeld, wenn er Frauen seine Kreationen tragen sieht? Oder jemand, der Dessous entwirft und sich vorstellen darf, daß täglich hunderttausende schöner Frauen in sein Werk schlüpfen und dabei eine Gänsehaut bekommen?
    Ihre Finger, ihr Hals, ihre Augen, ihr Haar … Sein Zimmer ist jetzt » eine Krippe für diesen musizierenden Engel «, der wie ein Kunstwerk auf ihn wirkt. Aber wenn er sich auch » zu ihrem Besitz beglückwünschte, dauerte es nicht lange, bis sie mir wieder gleichgültig wurde. Ich langweilte mich sehr rasch mit ihr, doch hielt auch dieser Zustand nicht allzulang an. Man liebt nur da, wo man einem Unzugänglichen nachspürt, man liebt nur, was man nicht besitzt «.
    Vielleicht könnte er sich ihre Untreue ja gar nicht

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