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Schmidt Liest Proust

Schmidt Liest Proust

Titel: Schmidt Liest Proust Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Schmidt
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vorstellen, wenn er nicht selbst unter Formen von Untreue leiden würde (was für ihn heißt: Blicke auf junge Radfahrerinnen zu werfen). » So wie es keine Kenntnis gibt außer der, die man aus sich selber hat, gibt es beinahe auch keine andere von der Eifersucht. Beobachtung spielt keine Rolle dabei. Nur aus der Lust, die man selbst verspürt hat, kommt einem Wissen und Schmerz. «
    Diese elende Distanz zwischen den Menschen. Es gibt Regionen in ihren Augen, die ihm » unzugänglich wie der Himmel waren «. Leider kann man sich nicht aufessen, man muß sich also mit dem Betasten der Oberfläche begnügen. » Ich konnte sie streicheln, meine Finger lange über sie hingleiten lassen, doch, als betastete ich einen Stein, der noch den Salzgehalt unvordenklicher Ozeane oder den Strahl eines Sternes in sich birgt, spürte ich, daß ich nur die undurchdringliche Hülle eines Wesens berührte, das sich im Innern ins Unendliche verlor. « Der Fehler liegt bei der Natur, die zwar eine Art körperlicher Vereinigung vorgesehen hat, aber » nicht darauf bedacht gewesen ist, eine gegenseitige Durchdringung der Seelen vorzusehen «. Wäre es also besser wie von Swann empfohlen das Leben eines Sammlers zu führen und auf Frauen zu verzichten? Aber Skulpturen und Kunstwerke hätten ihn nie wie die Frau » aus mir selbst hinaus auf jenen ganz privaten Verbindungsweg zu der großen Stadt gewiesen, auf welcher vorüberzieht, was wir erst von dem Tage an kennen, da wir gelitten haben: das Leben der anderen «. Man muß also leiden, um ein Mensch zu werden.
    Wie schön, sie bei sich zu haben und nachts wecken zu können! Sofort schlingt sie ihm heiter lachend die Arme um den Hals: » Als ich sie weckte, bewirkte ich nur, wie bei einer Frucht, die man aufbricht, daß der erquickende Saft daraus hervorgequollen kam. « Es sei denn, sie sagt: »Wollen wir nicht schlafen, ich muß morgen früh raus, bitte, ich bin so müde, ist das ok für dich, wenn der erquickende Saft heute nicht hervorquillt?«
    Jeden Tag ist er sicher, » daß ich am folgenden mich gleichzeitig an die Arbeit machen, mich aus dem Bett erheben, das Haus verlassen und die Abreise nach irgendeiner Besitzung vornehmen könnte «. Und es bleibt rätselhaft, warum er sich eines Tages wirklich an die Arbeit gemacht hat und das ohne die Notwendigkeit, Geld zu verdienen, Frauen zu beeindrucken oder seiner Familie etwas zu beweisen.
    Immer noch forscht er ihren alten Lügen nach. Was hat er schon gewonnen, wenn er herausbekommt, daß sie also doch in einem Ort namens »Buttes-Chaumont« war? Aber das Gedächtnis ist geräumig: » Es ist wie eine Apotheke oder ein chemisches Laboratorium, in dem man durch Zufall ebensogut eine beruhigende Droge wie ein gefährliches Gift in die Hand bekommt. « Wieder einmal wird die Vergangenheit umgedeutet. War sie zur gemeinsamen Abreise aus Balbec nur so plötzlich bereit gewesen, weil sie in Paris Andrée treffen wollte? Er erinnert sich an diesen Tag, » wie sie den Direktor beiseite gestoßen hatte, durch dessen Bemühungen, uns zurückzuhalten, wir um ein Haar den Omnibus verpaßt hätten «. Das Den-Direktor-beiseite-Stoßen der Freundin ist doch wieder eine echte Kafka-Geste.
    Angeblich wartet er nur noch auf den richtigen Moment zur Trennung. Die Jahreszeit muß passen, damit er möglichst wenig leidet und sie nicht an irgendwelche Orte reisen kann, wo sie Vergnügungen ohne ihn erleben würde. » Ich fühlte, daß mein Leben mit Albertine, soweit ich nicht eifersüchtig war, nichts als Langeweile, soweit ich es aber war, nur Leiden bedeutete. « Und vor die Wahl zwischen Langeweile und Leiden gestellt, wofür wird man sich wohl entscheiden?
    Unklares Inventar:
    – Ein Opal, der noch in der Matrix ruht.
    Erstaunliche Behauptung:
    – » […] da ich über keine Gabe der äußeren Beobachtung verfügte und niemals wußte, was ich eigentlich sah. «
    144 . Mo, 18.12., Berlin, Schwedter Straße, Café Haliflor
    Morrissey in der »Arena«, das Begehren von 10 000 Zuschauern richtet sich auf einen Menschen. Immer noch gelingt es mir nicht, meine Identifikation auf Konzerten so weit zu treiben, mit den anderen Zuschauern mitzusingen. Wenigstens kann man Lieder immer wieder singen, während mir noch kein Text gelungen ist, den ich nicht nach einem Dutzend Vorträgen satt gehabt hätte.
    Dreimal wechselt er sein Hemd. Eigenartig gedrungene Figur, aber anscheinend nicht zur Jugend verurteilt. Selbst die Treue zur Frisur hat Stil. Einmal wischt

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