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Schmidt Liest Proust

Schmidt Liest Proust

Titel: Schmidt Liest Proust Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Schmidt
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er sich mit seinem Hemd den Schweiß von der Stirn und wirft es ins Publikum. Wenn die Menschen sich darum prügeln, von einem mit schmutziger Wäsche beworfen zu werden, hat man es wahrscheinlich geschafft. Die Zuschauer revanchieren sich, Geschenke fliegen auf die Bühne: »Thats how I receive gifts, they don’t hand them to me, they throw them.«
    Eine Stimme zu besitzen, die man gegen keine andere austauschen könnte, was ist das Pendant dazu beim Schreiben?
    Es war überstürzt gewesen, sich zwei Monate vorher schon zwei Konzertkarten zu kaufen.
    Die Gefangene, S. 482–502 (Schluß)
    Eigentlich klingen die Gründe, die in Marcels Augen für Albertines Bleiben sprechen, nicht sehr überzeugend: In acht Tagen sollen ihre neuen Kleider von Fortuny eintreffen, seine Mutter wird am Wochenende zurückkehren (es wäre unhöflich, vorher zu gehen), und sie wollten sich in den nächsten Tagen venezianische Glaswaren ansehen. Wenn man bedenkt, daß eine Karte für ein Morrissey-Konzert eine Frau nicht dazu bewegt, eine Trennung um eine Woche zu verschieben, ob man es mit venezianischen Glaswaren hätte versuchen sollen? Oder zur Sprache bringen, daß meine Mutter diese Woche nach Berlin kommt?
    Aber sein Instinkt weiß schon mehr als sein Verstand. Er spürt, daß sie seinen Kuß nicht auf die gewohnte Art erwidert. » Angstvolles Grauen « erfaßt ihn, und er ruft sie noch einmal zurück, denn » solange sie da war, hatte ich das Gefühl, ich könne der Zukunft gebieten «. Als sie dann aber auf ihrem Zimmer ist, pocht sein Herz so stark, daß er nicht einschlafen kann: » Wie ein Vogel, der von der einen Ecke des Käfigs zur anderen flattert, schwankte ich unaufhörlich zwischen der Beunruhigung, daß Albertine fortgehen könne, und relativer Ruhe hin und her. « Immer wieder geht er im Kopf die Kette der Argumente durch, die für ihr Bleiben oder ihr Gehen sprechen: » So wie ein Kranker unaufhörlich in einer im Innern vollzogenen Bewegung das Organ betastet, das ihm Schmerzen bereitet. « So wie ich die letzten zwei Wochen immer wieder meinen linken Knöchel betastet habe.
    Dann geschieht etwas Unerhörtes, mitten in der Nacht wird ihr Fenster jäh geöffnet. Dabei war es » eine Übereinkunft unseres gemeinsamen Lebens, daß, da ich mich vor Luftzug fürchtete, niemals des Nachts ein Fenster geöffnet wurde «. Vielleicht will sie ja damit sagen, daß sie bei ihm zu ersticken droht? So aufgelöst war er nicht mehr, seit ihm die Mutter in Combray den Kuß verweigert hat. Er geht » die ganze Nacht im Korridor auf und ab in der Hoffnung, ich werde durch das Geräusch meiner Schritte die Aufmerksamkeit Albertines auf mich lenken und erreichen, daß sie mich mitleidig zu sich rief «. Aber solche Selbstdarstellung als Schmerzensmann hilft nicht viel. Vor Jahren habe ich einmal eine Nacht auf den kalten Dielen neben dem Bett verbracht, von dem ich gerollt war, nachdem die Frau eingeschlafen war. Ich dachte, sie müßte vor meinem Extremismus erschaudern. Aber sie hat es gar nicht gemerkt. Es wäre der richtige Moment gewesen, um von Außerirdischen entführt zu werden.
    Inzwischen trifft der Frühling ein, die Lust auf Venedig, den Louvre und das Luxembourg erwacht. Man geht nach Versailles, in luftiger Höhe zeigt sich wieder ein Aeroplan. Bei der Rückkehr scheint hell der Mond: » Ich wagte ihr nicht zu sagen, daß ich ihn allein oder auf der Suche nach einer Unbekannten stärker genossen hätte. « Schade, man hätte gerne gewußt, wie sie auf solch eine Bemerkung reagiert hätte. Stattdessen hält er ihr einen Vortrag über das Motiv des Monds in der französischen Dichtung und zitiert am Ende zu diesem Thema ganze Gedichte aus dem Gedächtnis. Das hat der Mond nicht verdient.
    Früh wacht er auf und spürt den Benzingeruch eines Automobils: » Er mag zartempfindenden Menschen […] als ein bedauerliches Übel erscheinen, ebenso wie gewissen Denkern, die […] sich einbilden, der Mensch würde glücklicher und zu höherer Poesie imstande sein, wenn seine Augen mehr Farbe zu sehen […] vermöchten. « Nein, der Benzingeruch » beruhigte mich wie ein Landduft «. Und nicht nur das, er gibt sogar eine überraschende Madeleine ab, denn er erinnert ihn an Ausfahrten, die er in Balbec unternommen hat, während Albertine Kirchen zeichnete und er das Gefühl hatte, » an neuen Stätten einer unbekannten Frau in Liebe zu nahen «. So ist das mit der mémoire involontaire , auch Benzingeruch kann dafür herhalten. Oder in

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